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Blamage!

Blamage!

Titel: Blamage! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Saehrendt
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die ortsüblichen Preise nicht. So bekam er überraschend viel für sein Geld, drei große Brote, die nicht in seine Taschen passten: »So entfernte ich mich mit einem Brot unter jeden Arm, während ich vom dritten aß. So schritt ich durch die Market Street und ging am Haus des Mr. Read, des Vaters meiner künftigen Frau, vorbei. Diese stand vor der Tür und mochte mich mit vollkommenen Recht für eine gar seltsame und lächerliche Figur halten.« 31 Am Ende wurden sie doch ein Paar, denn Benjamin kam aus gutem Hause und erwies sich darüber hinaus als äußerst tüchtig.
    Zum formvollendeten Verhalten an den europäischen Fürstenhöfen zählte auch der Sprachgebrauch. Wer den Sprachwitz und ein elegantes Hochfranzösisch nicht beherrschte, wer die angesagten Theaterstücke und literarischen Werke nicht kannte, drohte sich in der Konversation lächerlich zu machen, wurde als Einfaltspinsel oder Provinzler verspottet. Die Fähigkeit, andere mithilfe eines scharfen Esprits, mit verbaler Schlagfertigkeit der Lächerlichkeit preisgeben zu können, galt im Versailler Milieu als hohe Kunst – Florettfechten mit Worten, das Spiel mit der Peinlichkeit als Duell. Die penible Durchführung jeder Handlung am Hof, der strenge Formalismus beim Essen, Tanzen oder Sprechen war existenziell wichtig, um eine gute Position im Hofstaat zu erringen und sich gleichzeitig nach unten, zu den niederen Ständen abzugrenzen. Die kunstvolle Anlage von Haus oder Park, die Ausschmückung der Zimmer, die niveauvolle Konversation, der galante Flirt – dies alles war im Zeitalter des Absolutismus nicht etwa Privatvergnügen und Geschmackssache, es waren notwendige Mittel, um eine bestimmte gesellschaftliche Position zu erringen oder zu halten. Sie gehörten mit zu den Voraussetzungen für die Achtung der anderen, für den gesellschaftlichen Erfolg, der hier die gleiche Rolle spielte, wie später der Berufserfolg in der bürgerlichen Gesellschaft. Paradoxerweise wuchs mit der Diktatur der Form die Sehnsucht nach ungezwungener, volkstümlicher Unterhaltung. So kam es zu dem Phänomen, dass sich feine Herrschaften auf Rummelplätzen und in Volkstheatern herumtrieben. Ein wenig peinlich war es ihnen allerdings schon, und deshalb bauten viele Theater bald Logen mit Fenstergittern, hinter denen die hohen Gäste sicher verborgen waren und das Geschehen mit Operngläsern beobachten konnten, ohne selbst gesehen zu werden.
    Als später Napoleon das monarchistische System nach den Wirren der Revolution erneuerte, kam es zu einer Renaissance der Hofrituale und der förmlichen Verhaltensregeln. Allerdings war Napoleons Hofleben von kalter Repräsentationssucht und langweiliger Geistlosigkeit geprägt, nicht zuletzt, weil der Kaiser selbst keinerlei Interesse an Kunst oder Bildung besaß. Selbst sein Essen schlang er kulturlos hinunter. Kunstwerke interessierten diesen Machtmenschen nur insofern, als sie für repräsentative Zwecke nützlich sein konnten. Er selbst war hingegen wenig repräsentativ, im Gegenteil, schien er äußerlich doch eine ziemliche Fehlbesetzung für die Rolle des Imperators zu sein: »Er ist auffallend hässlich, ein dickes, aufgedunsenes braunes Gesicht, dabei ist er korpulent, klein und ganz ohne Figur, seine großen runden Augen rollen unheimlich umher …«, so beschrieb die preußische Oberhofmeisterin Sophie Marie Gräfin von Voss den feindlichen Monarchen während der Friedensverhandlungen im Jahr 1807. 32 Es scheint Napoleon daher viel daran gelegen zu haben, den peinlichen Kontrast zwischen persönlichem Erscheinungsbild und Herrscherrolle durch immer neue Statussymbole, prachtvolle Insignien und höfische Rituale zu überdecken. Gefürchtet war seine Masche, einzelne Mitglieder des Hofstaates in aller Öffentlichkeit zu blamieren. Auf Festen und Empfängen wartete man angstvoll auf das Erscheinen des Kaisers. »Sobald der Ruf ›der Kaiser‹ sich vernehmen lässt, erbleichen wir; ich kenne Einige, wackere Kerle, die am ganzen Leibe zittern«, so beschrieb ein Marschall die Situation, in der der Kaiser in den Festsaal eintrat. Napoleon, die Hand charakteristisch in der Westentasche, durchschritt dann langsam die Reihen und ließ hier und dort eine taktlose oder gar beleidigende Bemerkung fallen, die die Angesprochenen vor aller Ohren beschämten, während alle anderen

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