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Blamage!

Blamage!

Titel: Blamage! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Saehrendt
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der sozialen Regeln gilt bis heute als Beweis der Zugehörigkeit. Pokerface und Lächeln dienen als Maske, als Schutzschild für Emotionen. Diese Erfahrung machte auch Torwartlegende Oliver Kahn, er gehörte zu den beliebtesten Stars der Fußball- WM , die im Jahr 2002 in Japan und Korea stattfand. Die Medien hätten ihn, erinnert sich Kahn, als »Samurai« bezeichnet: »Mir [wurden] bestimmte Eigenschaften zugeschrieben: Disziplin, Einsatz, Kampf, Selbstbeherrschung. Besonders mein ernstes Gesicht hatte es ihnen angetan.« Nach dem unglücklichen, durch einen Torwartfehler entschiedenen Finale wurde Kahn genau beobachtet: »Wahrt er sein Gesicht, wie es die Samurai zu tun pflegten? Oder läuft er davon, um sich zu verkriechen?« Kahn biss bei der Siegerehrung in Yokohama die Zähne zusammen, obwohl es ein Moment war, »in dem man als Sportler fast sterben möchte«. 57 Andererseits, und das irritiert westliche Besucher, gibt es trotz der verbreiteten Zurückhaltung gewisse Ventile, mit deren Hilfe sich Aggression und Regellosigkeit der Japaner entladen, etwa außerhalb der eigenen Gruppe in der Anonymität der Öffentlichkeit (z. B. beim wilden Geschubse und Gegrapsche in der U-Bahn) oder außerhalb formaler Ereignisse, wie beim Saufgelage nach Arbeitsschluss, wo man oft sogar zusammen mit dem Chef die Sau rauslässt, um am nächsten Morgen so steif und formal wie immer weiterzuarbeiten.
    Einige nützliche Hinweise bezüglich Gestik und Körpersprache sollen hier nicht fehlen: Händedruck und Schulterklopfen gelten als peinlich-aufdringlich (etwa die besonders im handwerklichen Mittelstand beliebte »teutonische Prankenzwinge«), ebenso der direkte Blick in die Augen bei Begrüßung und Konversation. Was bei uns als Zeichen von Aufmerksamkeit gilt, kann also unter Asiaten als Nötigung betrachtet werden. Peinlich auch, wenn man gedankenlos die Arme vor dem Körper verschränkt. Bei uns eine beiläufige Geste, wird dies in Japan als ausgesprochen dominant empfunden, so als ob jemand unbedingt den Boss markieren will. Und noch ein wichtiger Hinweis auf missverständliche Gesten: Eine negative Antwort drücken Japaner aus, indem sie mit der rechten Hand vor dem Gesicht hin- und herwedeln, als wollten sie eine Fliege verscheuchen – beachten Sie dies, wenn Sie beim Reden gerade eine echte Fliege verscheuchen möchten. Weitere Fauxpas ergeben sich im Umgang mit Komplimenten: Diese können von Japanern unter Umständen als Beleidigung aufgefasst werden, weil sie selbstverständliche Leistungen als Besonderheit darstellen. Wer Komplimente macht, zwingt den Belobigten in einen peinlichen Vergleich mit anderen. Überschwängliches Lob gilt zudem als unehrlich. Erhält man Komplimente von Japanern, sollte man stets abwiegeln, sein Licht unter den Scheffel stellen – andernfalls gilt man als ungeschlachter Angeber. Im Visitenkartenkult hingegen äußert sich das statusbewusste Denken insofern, als dass man ohne Visitenkarte als Niemand betrachtet wird.
    Beim geselligen Essen ist Folgendes zu beachten:
    â€¢ Stecken Sie Ihre Stäbchen niemals aufrecht in den Reis, denn das sieht aus wie ein in Japan verbreitetes Totenritual, bei dem den Verstorbenen auf diese Weise Reis offeriert wird.
    â€¢ Man sollte auch generell nichts mit Stäbchen aufspießen, geschweige denn einzelne Happen mit den Stäbchen weiterreichen; mit dieser Geste werden im buddhistischen Ritual Knochen aus der Asche Verstorbener herausgenommen und den Angehörigen überreicht.
    â€¢ Bei Geschäftsessen und privaten Einladungen ist es durchaus üblich, dass die Gastgeber ihre Gäste zu einem bestimmten Zeitpunkt hinauskomplimentieren.
    â€¢ Beim Geschäftsessen im Restaurant gilt: Der Ranghöchste entscheidet unmittelbar, ob ein Essen beendet ist, steht abrupt auf, verabschiedet sich knapp und geht. Peinlich, wer dann noch sitzen bleibt oder hastig aufzuessen versucht.
    Westler irritiert es, dass verschnupfte Japaner den Rotz stets mehr oder weniger geräuschvoll hochziehen, obwohl Körpergeräusche ihnen eigentlich peinlich sind – gerade in öffentlichen Toiletten, wo man nicht allein ist. Dort kam die Mode auf, während des Toilettenganges ständig das Wasser laufen zu lassen, um peinliche Geräusche zu übertönen. Um die grassierende Wasserverschwendung zu stoppen, erfand die japanische Industrie das

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