Flammenpferd
1
Ein Flattern der Fingerspitzen, ein zartes Hauchen, und der Funke wuchs unter ihren Händen zu einer Flamme und zu einem winzigen Feuer heran, das sie mit staubtrockenen Halmen und dürren Zweigen, die sie zuvor bereit gelegt hatte, am Leben hielt. Sie hockte im Schneidersitz auf dem blanken Lehm, und als sie sich nun vorbeugte und in die Glut pustete, flackerte die Flamme empor, und sie schob einen Ast hinein. Die Hitze brannte auf der nackten Haut, doch sie rückte nicht zurück, sondern legte Holz nach. Die Flammen züngelten um den Ast herum, bis sie einen Angriffspunkt fanden und sich in die Rinde hinein fraßen. Beißender Rauch stieg auf, und es roch nach verbranntem Harz. Sie liebte den stechenden Qualm und den scharfen Geruch von brennendem Eukalyptus. Andächtig schaute sie zu, wie die Flammen ein letztes Mal aufloderten und zusammenschmolzen, dann still versiegten und nichts übrig ließen als eine Hand voll rot glühender Asche.
Ihre Beine schmerzten vom langen Sitzen. Steifbeinig stand sie auf und streckte sich, dann klopfte sie sich Staub und Grashalme von den Shorts und den Waden. Mit den nackten Füßen kratzte sie ein wenig lose Erde zusammen und schob sie über die Asche, bis die Brandstelle nicht mehr zu erkennen war. Nur eine Vorsichtsmaßnahme, denn keiner der Betreuer würde sich die Mühe machen, durch das wuchernde Gestrüpp steil hinauf auf diese Anhöhe zu steigen, und die Mädchen waren allesamt zu träge, um sich zehn Schritte vom Haus zu entfernen. Einzig Benni könnte sie hier oben entdecken. Vermutlich würde er sie nicht einmal verraten. Aber sie hatte wenig Lust darauf, etwas mit Benni zu teilen, und auf keinen Fall den Ort, an dem sie Feuer machte.
Ihr geheimer Platz lag in einer flachen Senke, unmittelbar hinter der Kuppe. Neugierig kletterte sie auf die höchste Erhebung. Im Schutz der massigen Eukalyptusstämme schaute sie hinab. Der Reiterhof war aus der Mittagsstille erwacht. Drei Pferde wurden zu den Anbindebalken geführt, zwei Schimmel warteten dort bereits. Trotz der Entfernung erkannte sie das deutsche Mädchen, das die Gruppen ins Gelände führte, an den langen dunklen Haaren und der blauen Weste, die sie immer trug. Das Mädchen half einem Gast beim Satteln. Eine Bewegung lenkte ihren Blick zum lang gestreckten Wohnhaus, das den Stallgebäuden gegenüber lag. Das deutsche Paar, die Besitzer des Ferienhofes, kam die Veranda herunter und ging zum Wagen, einem Toyota. Beide stiegen ein, und der Wagen fuhr ruckelnd an. Wenn sie nach Faro fuhren, um neue Gäste abzuholen, wären sie für mindestens drei Stunden fort. Die Gruppe würde – wie jeden Nachmittag – für zwei Stunden ausreiten. Sie hatte freie Bahn für einen Besuch bei Fadista. Wenn man von Benni absah, aber der würde ihr keine Schwierigkeiten machen. So schnell sie konnte, lief sie den Hang hinunter und kümmerte sich nicht um die spitzen Steine, die ihr in die nackten Fußsohlen stachen.
2
„Wenn kurz hintereinander erst die Schwester tödlich verunglückt und dann zwei Freunde sterben, das steckt niemand so weg“, erklärte Jette ganz sachlich. Ihr fester Blick hatte etwas Beschwörendes. Mit einer Stimme, die keinen Widerspruch dulden wollte, fügte sie hinzu: „Denk endlich an dich, Hella. Nutz die Gelegenheit und gönn dir ein paar freie Tage.“
Die Angesprochene musste unwillkürlich lächeln. Sonst ließ sie sich von Bevormundungen aller Art schnell reizen, aber im Augenblick tat ihr Jettes hartnäckige Fürsorglichkeit erstaunlich gut. Im vergangenen Herbst waren schlimme Dinge geschehen, und die Erinnerungen daran machten ihr mehr zu schaffen, als sie sich eingestehen wollte. Nun versuchte Jette seit Tagen, sie zu einem Urlaub zu überreden. Aber so einfach konnte man nicht fort, wenn man zwölf Pensionspferde und vier eigene Pferde zu betreuen hatte und die Pläne vorantrieb, den Hof zu einem Reha-Zentrum für Sport- und Reitpferde auszubauen.
Der Termin im Hamelner Rathaus war in einer Viertelstunde erledigt gewesen, und anschließend hatte Hella mit wenigen Schritten den Weg zum Grünen Reiter und dem modernen Glasgebäude zurückgelegt, in dem die Touristeninformation untergebracht war. Im oberen Geschoss befand sich Jettes Büro, und Hella hatte die Freundin zur Mittagspause abgeholt. Nun saßen sie seit einer Dreiviertelstunde in der Pizzeria La Roma, einem der ältesten italienischen Restaurants in der Hamelner Altstadt, das beide seit der Schulzeit kannten. Damals hatten sie
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