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Blamage

Blamage

Titel: Blamage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Saehrendt
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sich nicht eher um zweitklassige, lächerliche Kopien handelt. Und so endet der Versuch, sich in Anlehnung an bewunderte Filmhelden und Musikstars eine unwiderstehliche Coolness anzueignen, oftmals in Peinlichkeit.
    Schlusswort:
Cool werden oder sich dreimal täglich blamieren?
    Nun haben wir Peinlichkeit nach Peinlichkeit Revue passieren lassen und dennoch nur ein Bruchteil des Phänomens sichtbar machen können. Denn wir haben nur die wenigen Fälle (oder, besser gesagt Unfälle) dokumentiert, in denen das Malheur schon unübersehbar geworden war. Doch das ist nur die Spitze des Peinlichkeits-Eisbergs. Wir sollten nicht vergessen, dass der größte Teil unter der Oberfläche verborgen liegt – und damit sind alle Anstrengungen, Verhaltensweisen und Ausreden gemeint, die nur das eine Ziel haben: peinliche Situationen zu vermeiden. Stellen Sie sich nur vor, wie viele Handlungen, Kontaktaufnahmen, Gespräche schon von vornherein unterbleiben, weil man die Blamage fürchtet! Zwar gilt das Peinlichkeitsempfinden einerseits, wie wir gesehen haben, als Errungenschaft des Zivilisationsprozesses, es macht das Leben kultivierter, kontrollierter, konfliktfreier, doch andererseits kann es uns um viele Chancen bringen, wenn die Angst vor der Blamage uns hemmt und sich wie ein Gewicht auf unsere Brust legt. Selbst, wenn es zunächst abwegig klingt: Das Peinlichkeitsempfinden ist eine nicht zu unterschätzende unerkannte Macht – eine Macht, die unser Alltagsleben in viel stärkerem Maße beeinflusst, als wir es uns vorstellen können. 95
    Nun, am Ende unserer Tour de Blamage angekommen, steht das Fazit: Das, was wir als peinlich empfinden, ist von unserer Sozialisation bestimmt, also einerseits kultur-, schichten-, generationen- und geschlechterspezifisch – aber letztlich auch, in der für jeden Menschen einzigartigen Kombination von Erfahrungen, absolut individuell. Denn von Kindesbeinen an speichern wir Szenen und Situationen, die unser Peinlichkeitsempfinden prägen und in unseren ganz eigenen »Missgeschickskatalog«. In diesem persönlichen Panorama der Peinlichkeiten, in das wir unsere Mitmenschen nur sehr begrenzt Einblick gewähren, spiegeln sich alle Ansprüche, die wir an uns selbst und an andere stellen.
    Nicht von ungefähr gelten Peinlichkeitserlebnisse als Handlungsverstärker. Sie sind stark mit Emotionen verbunden, und an diese Erregungszustände erinnern wir uns oftmals noch lange zurück. Peinliche Erlebnisse prägen uns häufig viel nachdrücklicher als Belobigungen oder Strafen. Blamagen motivieren im besseren Fall dazu, in sich zu gehen, die gesellschaftlichen Regeln künftig genauer zu beachten, produktiv an sich zu arbeiten. Im schlechteren Fall schockieren oder gar traumatisieren sie uns, so dass wir uns ängstlich zurückziehen. Im schlimmsten Fall setzt der Beschämte seinem Leben (oder dem Leben anderer) ein Ende, weil er glaubt, der Schaden, den er angerichtet habe, sei irreparabel und die erlittene Schande könne nie vergessen werden. Hier ist aus der Peinlichkeit eine existenziell bedrohliche Beschämung geworden.
    Doch zurück zu den weniger gravierenden Blamagen: Beim Blick auf die Geschichte der Peinlichkeit haben wir gesehen, dass das Peinlichkeitsempfinden im Grunde ein Mittelschichtsphänomen, eine bürgerliche Errungenschaft ist. Der Adel, aber auch die neureichen Gangster und Tycoons setzten sich zu allen Zeiten kalt lächelnd darüber hinweg. Deren Devise lautete schlicht: »Never explain, never complain«. Das anhaltende Bedürfnis nach allen möglichen Verhaltensratgebern, Dresscodes und Knigges ist offenbar Ausdruck einer Verunsicherung der Mittelschichten, Merkmal eines speziell bürgerlichen Bildungshungers, der einzig darauf abzielt, Peinlichkeiten unter allen Umständen zu vermeiden. Der Schweizer Psychoanalytiker Peter Schneider urteilte über den gegenwärtigen Hype der Benimm- und Stilberatungsliteratur: »In den heute so beliebten Stilfragen zeigen sich lediglich ein sehr kleinbürgerlich anmutender, eiserner Wille zur gesellschaftlichen Distinktion und ein biestiges Ressentiment gegenüber der Stillosigkeit der jeweils anderen.« Und peinlich stillos, so könnte man ergänzen, werden vor allem die Unterschichten empfunden, von denen man sich durch Äußerlichkeiten abgrenzen will (vielleicht auch aus der Angst heraus, irgendwann selbst

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