Blamage
ballonartig aufgedunsenem Gesicht, jemand, der Angst hat, vor Gruppen zu sprechen, glaubt aufgrund der starken Anspannung der Gesichtsmuskulatur, einen verzerrten, geradezu debilen Gesichtsausdruck zu haben.
Ulrich Stangier, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Goethe-Universität Frankfurt hat in seinem Standardwerk Soziale Phobie einmal einige (einander eigentlich widersprechende) Grundüberzeugungen eines typischen Sozialphobikers aufgelistet:
⢠Ich bin anders als die anderen.
⢠Ich bin langweilig, unattraktiv, inkompetent, lächerlich, ich bin nicht liebenswert.
⢠Andere erkennen meine Schwächen sofort und lehnen mich ab.
⢠Deshalb muss ich immer alles richtig machen.
⢠Ich muss immer den Erwartungen der anderen genügen, d. h.: Ich muss immer intelligent, interessant, witzig wirken.
⢠Ich muss cool, gelassen, souverän sein, alles im Griff haben.
⢠Ich muss mich immer kontrollieren, um nicht aufzufallen.
Der Phobiker geht davon aus, dass ihm in Gesellschaft stets das Schlimmste widerfahren wird, sinngemäà wird er sich denken: »Ich werde kein Wort herausbringen. Alle werden mich anstarren. Ich werde zittern. Ich werde Dinge fallen lassen, etwas verschütten. Ich werde Schwachsinn reden. Ich werde schwitzen.« Zu allem Ãberfluss ist dem Phobiker oftmals auch noch bewusst, dass sein Leiden eigentlich keine rationale Grundlage hat. Verglichen mit anderen, echten Krankheiten erscheint es ihm als ein selbstgemachtes, eingebildetes, mithin ȟberflüssiges« Leiden. Die Angst vor der Peinlichkeit ist ihm peinlich â was die Sache umso schlimmer macht. Perfektionismus ist die Antwort des Phobikers auf seine negativen Grundüberzeugungen.
Dazu benutzt er ein System folgender alltagskompatibler SicherheitsmaÃnahmen:
⢠vor einer Rede Sätze im Kopf ausformulieren
⢠zu Ãbungszwecken leise (oder auf der Toilette) vor sich hin sprechen (um ein Stocken des Vortrags unter allen Umständen zu vermeiden)
⢠Tassen oder Gläser sehr fest halten, um ein Zittern zu vermeiden
⢠sich so platzieren, dass man nicht bemerkt wird
⢠sich so wenig wie möglich bewegen
⢠einen Raum, in dem sich bereits Menschen befinden, niemals allein betreten, sondern vor der Tür warten, bis man sich anderen anschlieÃen kann
⢠sich stets am Rand von Gruppen oder Sitzordnungen platzieren
⢠nichts sagen oder, im Gegenteil, pausenlos (vorab einstudierte) Geschichten erzählen, um ja keine Pause entstehen zu lassen
⢠Kleidung wählen, die das Schwitzen verhindert oder verbirgt
⢠Kleidung tragen oder Make-up benutzen, um Erröten weniger sichtbar zu machen.
Phobiker glauben, dass allein ihre persönlichen SicherheitsmaÃnahmen eine »Katastrophe« verhindern können. Paradoxerweise rufen diese MaÃnahmen gerade erst eine Reihe von Symptomen hervor, die sie eigentlich unterdrücken sollten. Wer also unter allen Umständen ein Zittern der Hände vermeiden will, verfällt in eine verkrampfte Haltung mit eckigen, ruckartigen Bewegungen. Versucht der Phobiker, durch das feste Andrücken der Arme an den Körper, SchweiÃflecken unter den Achseln zu verbergen, führt genau dies zu vermehrtem Schwitzen, zur dramatischen Ausbreitung der gefürchteten Flecken. Bemüht er sich verzweifelt, an einer Konversation teilzunehmen, indem er versucht, sich jedes Wort einzuprägen, überfordert er sich schnell und kann der Unterhaltung nicht mehr folgen, geschweige denn selbst reden. Versucht er, durch leises Sprechen unauffällig zu bleiben, kann es passieren, dass sich die anderen plötzlich still verhalten und sich ganz dem Sprecher zuwenden, um ihn besser verstehen zu können. Derjenige, der Angst hat, in der Ãffentlichkeit etwas zu trinken, weil er glaubt, dass dann seine Hände zittern würden, hält in Gesellschaft das Glas mit beiden Händen fest, beugt tief den Kopf herunter und wendet sich von seinen Gesprächspartnern ab, um diese »riskante« Operation zu verbergen â tatsächlich erregt er mit diesen skurrilen Verrenkungen aber erst das Aufsehen, das er vermeiden wollte. Kein Wunder, dass die ängstliche Selbstbezogenheit den Phobiker bisweilen zu einem wunderlichen Zeitgenossen macht, der die befremdeten Reaktionen der anderen natürlich als Bestätigung seines negativen Selbstbildes ansieht.
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