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Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Titel: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vea Kaiser
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Traum von der Medizin auch nur einen Schritt näher gekommen zu sein. Johannes erkannte den Mann wieder, der plötzlich hinter ihm stand und ihn fragte, ob er nicht derjenige sei, dem er die kniehohe Marienstatue abgekauft habe, und ob er Karten spielen könne? Man spiele im Hinterzimmer und benötige noch einen Mitspieler. Zuerst zögerte Johannes, denn Karten spielen erinnerte ihn an die vielen Abende im St.-Petri-Wirtshaus, doch er hatte an jenem Sonntag nach der Messe sieben Statuen verkauft, und so meinte er, sich etwas Unterhaltung gönnen zu dürfen. Johannes gewann haushoch, und die Männer waren so beeindruckt von all seinen Kniffen und Tricks, dass sie ihn von nun an jeden Sonntag einluden, mit ihnen zu spielen. In St.   Peter am Anger spielten die Männer seit Generationen jeden Abend Karten, und Johannes war bis zu jenem Moment, als ihn einer seiner Mitspieler fragte, was er dafür haben wolle, ihm seine Tricks beizubringen, nicht bewusst, dass die St.-Petri-Männer dadurch über ganz besonderes Wissen verfügten. Eigentlich antwortete Johannes nur zum Spaß, er benötige eine bestandene Studienberechtigungsprüfung, allerdings nahm ihn der Mitspieler ernst und antwortete, dass er jemanden kenne, der jemanden kenne, der ihm noch einen Gefallen schulde, und der wiederum kenne jemanden, der beim Studienberechtigungsamt arbeite. Drei Wochen später hatte Johannes ein Zeugnis in der Hand, das ihm die allgemeine Hochschulreife der Alpenrepublik attestierte. In St.   Peter am Anger kannte jeder jeden, was in der Stadt unmöglich war, und Johannes verstand, um hier zu überleben, musste man nicht alle kennen, sondern es ging bloß darum, jemanden zu kennen, der jemanden kannte, der jemand anderen kannte, der wiederum das Gesuchte konnte.
    Als sich Johannes schließlich in der langen Schlange einreihte, die vor der jungen Universitätsbeamtin auf die Immatrikulation wartete, pochte sein Herz, und der Schweiß rann ihm unter dem guten Hemd den Rücken hinab. Während er sich Zentimeter um Zentimeter auf dem polierten Marmorboden unter den großen Gewölben des ehrwürdigen Gebäudes fortbewegte, fürchtete er, die Beamtin würde sofort bemerken, dass er keineswegs zum Studium berechtigt war, doch die junge Frau, deren Frisur ihn an ein Schlagoberstürmchen erinnerte, lächelte ihn kurz an, notierte seine Daten in einem Formular, ließ ihn selbiges unterschreiben, füllte einen orangefarbenen Ausweis aus, klebte sein mitgebrachtes schwarzweißes Bild auf die freie Fläche, drückte einen Stempel darauf, und als sich Johannes Gerlitzen höflich von ihr verabschiedete, war er Medizinstudent.
    Anfangs studierte Johannes sehr langsam. Er musste etliches nachlernen, doch sitzen und lesen hatte er bereits in St.   Peter geübt. Er war nie faul gewesen, und in der Medizin brauchte man kaum Vorwissen, wie er erfreut feststellte, sondern nur das Talent, verbissen auswendig zu lernen. Und sobald es um das Praktische ging, bemerkte niemand mehr, dass er als einer der wenigen nicht aus der Stadt kam. Im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen konnte Johannes das Skalpell von Beginn an halten, ohne zu zittern. Mehr als einmal wurde er von den Professoren für seine ruhige Hand und seine präzisen Schnitte gelobt. Johannes staunte, um wie viel einfacher das Sezieren einer Lunge war, als die feinen Gesichtszüge einer Statue zu schnitzen. Und wie sanft glitt eine Knochensäge durch ein Bein, im Vergleich zu einer Zackensäge durch einen Baumstamm. Viel hatte Johannes Gerlitzen nicht mit den anderen Studenten zu tun. Eisern verbrachte er die meiste Zeit in der Nationalbibliothek. Alle Leseplätze waren mit Leselampen ausgestattet, und es gab nichts, was man nicht nachschlagen konnte. Wenn er heimkam, schnitzte er bis spät in die Nacht Statuen, um Geld zu verdienen, und für sich selbst schnitzte er eine Nachbildung der Mundhöhle mit Zähnen, da dieser Teil des Körpers ihm beim Lernen die meisten Schwierigkeiten bescherte. Wann immer es nämlich um Zahnkrankheiten ging, musste er an seinen Nachbarn in St.   Peter denken, Karl Ötsch, der die schlechtesten Zähne des Dorfes hatte. Manchmal verfiel er über dem Lehrbuch in Trance, dachte darüber nach, wie Elisabeth diesen Mundgeruch hatte ignorieren können, und dann erschienen vor seinen Augen jene grausamen Bilder, wegen derer er aus St.   Peter geflüchtet war.
    Nach einigen Semestern legte sich die Anfangseuphorie. Was ihn begeistert hatte, langweilte ihn, und nachdem

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