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Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Titel: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vea Kaiser
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schaffen könnte.
    Eines Abends blieb sogar die Stammtischrunde Ebersberger, Hochschwab, Rossbrand, Rettenstein nach einer langen Diskussion über die Schwerkraft vor der Wirtshaustür stehen, um in den Himmel zu schauen. Sie legten die Köpfe in den Nacken, steckten die Hände in die Hosentaschen und suchten die weiße Oberfläche des Vollmondes nach einem Pünktchen ab, das darauf spazieren ging. Als sie keines entdeckten, spuckte Toni Rettenstein ins Gras:
    »So a Bledsinn.«
    Und damit war die Sache vom Tisch.
    Am nächsten Tag sprach man auch nach der Morgenmesse über die Mondlandung, da der Pfarrer in seiner Predigt lange darauf eingegangen war, dass der Mensch seinen Platz auf der Erde habe. Nur durch edle Werke im Dienste Jesu Christi dürfe er nach dem Himmel streben, doch vor seinem Tod sei ihm das Reich des Herrn verwehrt. Eine schwere Sünde sei es, wenn der Körper sich von der Erde abhebe, hatte der Geistliche mit geballter Faust gepredigt, dabei hatte der Pfarrer von St.   Peter in den letzten Jahren selbst begonnen, die Erde zu verlassen. Seine Füße standen zwar noch auf dem Boden, aber sein Geist schwebte oft in Sphären, in denen die Bewohner von Himmel und Hölle lebendig geworden waren. Überall sah er Dämonen lauern und Engel frohlocken.
    »I bin scho g’spannt, wia de wieder vom Mond owa kumman wolln«, sagte Erna Hohenzoller, die kräuterkundige Käsebäuerin vom Osthang, »i glaub jo, da Herrgott daschlagt de nu mit’m Blitz.«
    Alle, die auf der Kirchenstiege bei ihr standen, gaben ihr recht. Ein paar Tage nach dem großen Schritt für die Menschheit war man sich in St.   Peter einig, keinen Schritt vorangekommen zu sein. Nur der junge Alois war von der Mondlandung so gebannt, dass er kein anderes Thema mehr kannte, bis ihm die Erwachsenen untersagten, de ganze Zeit über de depperte Mondlandung zum Sprechen . Im Sommer 1969 gab es nämlich ein anderes Ereignis, das vielfach bedeutsamer als die Mondlandung eingestuft wurde. Ein schlichter Brief erreichte in der letzten Juliwoche den angehenden Bürgermeister Friedrich Ebersberger jun., in welchem Doktor Johannes Gerlitzen seine Rückkehr ankündigte und den Freund aus früheren Tagen darum bat, die nötigen Vorbereitungen in St.   Peter zu treffen. Dieser Brief war bald so zerfleddert, mit Flecken versaut und abgegriffen, dass man die Schrift kaum noch lesen konnte. Jeder wollte ihn in der Hand halten, keiner konnte glauben, dass der Gerlitzen am Leben war. Nur Alois Irrwein beteiligte sich nicht an der kollektiven Nervosität. Er konnte sich nicht an den Schnitzer erinnern, und anders als die meisten Kinder interessierte er sich nicht für die von den Eltern erzählte Geschichte von Johannes Gerlitzen, der wegen eines Wurms in seinem Bauch weggegangen war. Während sich das Dorf rausputzte und auf die Rückkehr des einzigen je an die Stadt verlorenen Bewohners vorbereitete, zog sich Alois Irrwein in die Wälder zwischen Angerberg und Großem Sporzer zurück, wo er bereits vor fünf Jahren seine erste Baumhausfestung gebaut hatte. Dort hatte er Ruhe vor der allgemeinen Aufregung, die vom Dorfältesten bis zu den Schulkindern alle befallen hatte, und er begann, emsig Vorbereitungen zu treffen, um selbst auf den Mond zu fliegen.
    Johannes Gerlitzen kehrte an einem Samstag zurück. Im Nachhinein konnte man nicht mehr sagen, ob er pünktlich zu Mittag eingetroffen war oder die Kirchturmglocken zur Feier seiner Rückkehr geläutet hatten. Der Kleintransporter, der sein Hab und Gut den Angerberg hinaufkutschierte, wurde ab der Dorfgrenze von zwei Handvoll Kindern begleitet. Der Fahrer hatte Mühe, keines zu überfahren. Vor dem Haus der Gerlitzens wartete das halbe Dorf; die früheren Wirtshausfreunde mit Frauen und Kindern, alle, die mit ihm aufgewachsen waren, und von den Älteren diejenigen, die noch lebten. Der Pfarrer hatte seine Konzelebrationsstola wie einen Schal um den Hals gewickelt, damit sie ihm im Laufschritt nicht hinabfiel, und hektisch drängten sich der kurzatmige Altbürgermeister und sein Sohn Friedrich, der ihn stützen musste, in die erste Reihe. Nur Ilse schloss das Schlafzimmerfenster, um Elisabeth nicht aufzuwecken. Die ganze Nacht war es ihrer Mutter vor Aufregung so schlecht gegangen, dass sie aufrecht zitternd im Bett gesessen hatte. Im Gemüsegarten kamen währenddessen die frei laufenden Hühner zusammen, als wollten auch sie einen Blick auf den Zurückgekehrten werfen. Kaum stieg Johannes aus dem Transporter,

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