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Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Titel: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vea Kaiser
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gefror dem Dorf jedoch das Lächeln. Man hatte sich vorgestellt, der Gerlitzen, den man von klein auf kannte, würde genauso, wie er weggegangen war, wieder zurückkommen. Etwas gealtert vielleicht – aber immer noch der Gerlitzen. Nun stieg jedoch ein anderer aus dem Auto, bei dem man nur mit Mühe erkennen konnte, dass er in St.   Peter geboren war. Lang und sehnig sah er ohne die Muskeln eines Holzarbeiters aus, seine Wirbelsäule schien wie von einem Besen gestützt, wodurch er noch größer wirkte. Und dazu trug er das Haar länger als die alten Frauen unter ihren Kopftüchern, wenngleich das seinige nicht onduliert, sondern eng am Kopf gekämmt war. Doch was alle zum Staunen brachte: Sein Haar war innerhalb der neunjährigen Abwesenheit schneeweiß geworden. Der Bürgermeister sagte ein paar Worte, Johannes sagte ein paar Worte, und alle erschraken, dass die St.-Petri-Färbung seiner Sprache ausradiert war. Schließlich waren alle erleichtert, als man aufhörte zu reden und sich daran machte, den Transporter zu entladen und Johannes’ Sachen ins Haus zu bringen.
    »Vorsicht mit den Kisten mit gelbem Band darauf, das sind die Forschungsgeräte, die sind zerbrechlich!«, wiederholte dieser mehrmals, wobei die Helfer seine Kisten ohnehin mit Samthandschuhen anpackten, und die, die danebenstanden und zuschauten, wie Kaninchen in Lauerstellung den Hals eingezogen hatten. Niemandem war geheuer, was da vor sich ging, und vor allem, welch übler Zauber den lieben Johannes in solch einen fremden Menschen verwandelt hatte. Ilse hatte zwar keine Maßstäbe, um Johannes Gerlitzens Auftritt zu beurteilen, aber sie bemerkte die erschrocken nach oben schnellenden Augenbrauen. Von den Reaktionen der Dorfbewohner verunsichert, verkroch sie sich, kaum dass sie Johannes’ Absätze die Schwelle überschreiten hörte, in den Schlupfwinkeln des Hauses. Und als man nach ihr suchte, um sie ihrem Vater vorzustellen, rannte sie in die weiten Wälder zwischen Angerberg und Großem Sporzer.
    Johannes setzte sich an die Kante des Ehebettes, faltete seine Hände im Schoß und wartete, bis Elisabeth aufwachte. Auch wenn sie schlief, zuckte die Bettdecke. In ihren Augenwinkeln klebte Sand, der Fäden zwischen ihren Lidern zog, als sie diese aufschlug.
    »Du bist …«, setzte sie an, doch sie war zu schwach, um den Satz zu beenden. Sie war sogar zu schwach, um Tränen zu vergießen. Weil Johannes wusste, was sie sagen wollte, legte er seine Hand auf ihre Wange und küsste ihre Stirn. Elisabeths Gesicht war von der Krankheit gezeichnet, ihre Mimik ausdruckslos.
    »Ich hab ja gesagt, ich komm zurück und kümmere mich um die Ilse und dich.« Johannes holte Pulsmessgerät und einige Fläschchen aus seinem Arztkoffer. Er benetzte sein Stofftaschentuch, säuberte Elisabeths Augen, kühlte ihr die Stirn und begann, ihre Arme zu massieren, zuerst den rechten, dann den linken, und die Beine – bis sie etwas weniger zitterte. Schließlich legte er sich neben sie, umfasste ihren Körper und roch den Duft hinter ihren Ohrläppchen, der noch immer derselbe war. Während ihm stumm Tränen über die Wange rannen, flüsterte er ihr ins Ohr:
    »Entschuldige, dass ich dich alleingelassen hab. Aber jetzt bin ich wieder da und kümmere mich um euch.«
    Nachdem Johannes das Haus drei Mal abgeschritten war, ohne Ilse zu finden, holte er ein Tapetenmesser aus seiner früheren Werkstatt im Keller, um die mitgebrachten Kisten zu öffnen. Das Messer war wie alle anderen Werkzeuge von einer feinen Rostschicht überzogen.
    Johannes beschloss, die Ordination fürs Erste im Obergeschoss des Hauses einzurichten, bis ihm der Bürgermeistersohn das per Brief versprochene Arzthaus gebaut hätte. Man konnte das Obergeschoss vom Eingangsbereich aus erreichen, ohne die Wohnräume zu durchqueren. Das Schlafzimmer wollte er ins Wohnzimmer verlegen, da es für Elisabeth so einfacher sein würde, das Haus zu verlassen. Johannes begann, Kiste um Kiste die Stiegen hinaufzutragen und zu öffnen, bis er merkte, dass zwei der Kisten bereits offen waren und drei weitere fehlten. Er ging in den Hof, wo die Helfer größere unverpackte Gegenstände ausgeladen hatten. Neben der Schreibtischlampe auf der Sitzbank fehlte ein Korb mit Petri-Schalen, und von der Tischzentrifuge, die er auf dem Absatz neben der Haustür abgestellt hatte, war der Ersatz-Winkelrotor verschwunden, in welchen die Probefläschchen für die Schleuderung eingespannt werden konnten. Nur einzelne in der

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