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Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Titel: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vea Kaiser
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er den theoretischen Teil seines Studiums abgeschlossen hatte, hatte er viel Zeit nachzudenken.
    Je dialektfreier Johannes’ Hochsprache wurde, desto fremder kam es ihm vor, sich in Tramways fortzubewegen, überall nur fremde Menschen zu sehen – und dann erst dieses flache Land! Johannes ertappte sich dabei, Angst vor dem endlosen Horizont zu verspüren, der die Hauptstadt umgab wie ein alles verzehrendes Loch. Ging er durch die Häuserschluchten, vermisste er den Überblick, kam sich verloren und fremd vor. Stieg er auf einen Aussichtspunkt, wurde er von der Angst befallen, von der endlosen Weite ringsum verschluckt zu werden. Er sehnte sich nach den Sporzer Alpen, die, egal wo man sich im Angertal bewegte, den Horizont begrenzten, der Weite einen Riegel vorschoben und sich wie ein schützender Vater vor einen stellten, so als wollten sie die Gefahren der Welt von einem fernhalten. Und obwohl er versuchte, dagegen anzukämpfen, sehnte er sich nach Elisabeth und nach der kleinen Ilse. Je länger er weg war, desto mehr schmerzte ihn, das Kind nie im Arm gehalten und ihm nie ins Gesicht geblickt zu haben.

[Die Ordensbrüder, Notizbuch I]
    [1.8.] Wie genau sich das Weitere zugetragen hat, konnte ich trotz intensiver Recherchen nicht eindeutig klären. Was ich mit Sicherheit bestätigen kann, ist, daß wenige Jahrzehnte, nachdem sich die Bergbarbaren auf ihrem Berg niedergelassen hatten, einer der Alpenfürsten ein Kloster in jenem Tal im Süden des Angerberges errichtete, wo sich die Siedlung Lenk auch heute noch befindet. [1.9.] Ich vermute, daß der Fürst dies tat, da es damals in Mode war, Klöster zu stiften. Die Aristokraten erhofften sich wohl zum einen, daß das monastische Volk für ihre Seelen betete, zum anderen erwarteten sie eine Stärkung ihrer Machtposition durch die Errichtung eines geistlichen Zentrums. [2.0.] Weiter nun deuten meine Recherchen darauf hin, daß es den Herrschern nach einigen Jahren lästig wurde, für Leben und Unterhalt der Mönche aufzukommen, und so erlaubten sie, daß das Kloster in Lenk selbst einen Zehent von den Dörfern und Siedlungen rundum eintrieb. Ich kann berichten, daß es den Staatsfürsten der heutigen Zeit ebenso leidig ist, für das Beten zu zahlen. [2.1.] Die Ordensbrüder, die in jenem Benediktinerkloster zu Lenk lebten, schienen jedenfalls am Einheben von Gütern und Geldern Gefallen gefunden zu haben. Sie bauten ihre Räumlichkeiten aus, schafften sich Vieh an und hatten immer neue Ideen, die Abgaben der Bauern zu verprassen. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, daß Mönche zwar dem Dienste am Guten verpflichtet sind, doch daß dies nicht bedeutet, daß sie immer gut sind. [2.2.] Getrieben von der Geldgier, überlegten sie also, wie man die Klosterkammern noch weiter füllen könnte, und so erinnerten sie sich schließlich an Geschichten von den Auseinandersetzungen zwischen den Talbewohnern und gewissen Stämmen, die abgeschieden in den Bergen lebten, und beschlossen, jene Dörfer, von denen man lange nichts mehr gehört hatte, zu suchen, zu finden und zu einer abgabenpflichtigen Pfarre des Klosters zu machen. Dies war, soweit ich das rekonstruieren konnte, der erste Beschluß, mit welchem die Welt versuchte, St.   Peter zu einem ihrer zivilisierten Teile zu machen.

Alois’ Weltraummission
          
    1969 gab es nicht mehr viele Löcher in der Fernsehsignalabdeckungskarte der Alpenrepublik, doch eines erstreckte sich großräumig über den Sporzer Alpen. Ohne Fernsehbildschirme wusste man in St.   Peter am Anger zwar trotzdem von der Mondlandung – nachdem das wöchentlich erscheinende und auch in St.   Peter gelesene Lokalblatt Angertaler Anzeiger auf einer Doppelseite darüber berichtet hatte –, aber für Menschen auf dem Mond konnte sich bis auf den zwölfjährigen Alois Irrwein niemand begeistern. Alois, der einzige Sohn der St.-Petri-Zimmermannsfamilie, war von einer Faszination für Geschwindigkeit und abenteuerliche Unternehmungen beseelt – seine Wangen glänzten ständig rot, als wäre er gerade einen Hang hinuntergedüst, als hätte er einen reißenden Fluss durchschwommen oder ein Fort in Steilhängen erbaut. Die Vorstellung einer Reise zum Mond stellte für ihn alles davor Gewesene in den Schatten. Noch nie hatte er von etwas Schnellerem, Gefährlicherem, Spannenderem gehört, und so kletterte er jede Nacht auf das Dach der Werkstatt seines Vaters, legte sich auf die warmen Schindeln und überlegte, wie er es bis zum Mond

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