Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I
Smarties und drei Brause. Schon vor Tagen hatte ich sie dort deponiert und stopfte sie mir gerade alle auf einmal in den Mund, da hörte ich plötzlich Stimmen aus dem Spielzimmer. Huch! Sie waren doch begraben, aber was ich nun hörte, war wirklich Papas Stimme! Papa hatte eine brummige Stimme gehabt, fast so brummig wie mein Schmusebär, wenn ich ihn aus meinen Armen auf den Rücken legte, und ich hörte genau, wie Papa jetzt brummte: »Aua, aua, Hilfe, Hilfe. Mein Kopf tut ganz schön weh, aber weißt du was, Mama? Ich finde, wir hätten unserem Kind ruhig mehr Smarties als einen am Tag erlauben können, ruhig sechs oder elf, und auch mehr Brausebonbons, vielleicht sogar drei, was meinst du?«
Ich war so aufgeregt und gespannt, dass ich mit Kauen aufhörte und mir ein Faden Spucke aus dem Mund kam. Mama hatte eine hohe Stimme, wie ein Vogel, und sie piepste: »Ja klar ist ein Smarties und ein Brause zu wenig. Komm, Papa, wir beide sagen ab sofort sieben und drei am Tag. Hallo, Ki-hind!«
»Ja?«, sagte ich.
»Wir haben uns überlegt, du hattest recht. Sieben und drei am Tag geht. Machst du uns jetzt wieder lebendig? Wir brauchen aber neue Köpfe, unsere sind im Herd kaputtgegangen.«
»Ich komme«, sagte ich. »Und eure neuen Köpfe hab ich schon.«
»Au ja!«, brummte Papa
»Au ja! Ich a-auch!«, piepste Mama, aber natürlich nur im Spiel. Schon vor Tagen hatte ich das Gepräch mit Brumm- und Piepsestimmen in den Cassettenrecorder gezaubert und extra Pausen gelassen für die Stellen, wo ich dran war. Die neuen Köpfe hatte ich mir sogar schon Dienstag von Mama mitbringen lassen.
Aber plötzlich musste ich aufs Klo. Das konnte ich schon ziemlich alleine, auch das Abputzen, aber noch nicht so richtig. Als ich fertig war und nachguckte, klatschte ich in die Hände und rief »Juchhu!«, denn ich hatte schon wieder genau unsere Familie gemacht, eine große Wurst, eine kleinere und eine ganz kleine, das war ich.
»Mama, Papa, kucken kommen!« –
»Mama, Papa! Kuuukeen kooommeeen!!« –
»Maaaa-maaaa! Paaaa-paaaa! Aaapuuuzäääään!!!« –
»Mir ist kaa-haalt!!« –
»Ich waaaiiin glaaaiich!« –
Niemand kam.
In der Badewanne war eine Spinne, der ich Gras zum Abendessen geben wollte, aber ich durfte ja nicht aufstehn mit dem schmutzigen Popo. Zählen konnte ich schon lange bis zwanzig. Ich zählte die gelben Fliesen an der Wand, eins, zwei, sechs, achtzehn, tausend, neun, dann riß ich Klopapier ab und drückte es gegen meine Augen. Sofort wurde es tränennass. Natürlich nur im Spiel, ich wusste ja, dass Mama und Papa nicht kucken und mich abputzen konnten mit den alten Köpfen. Ich ließ die Hose einfach auf meinen Füßen liegen und watschelte wie ein nackiger Frosch in die Küche, quaak.
Um den Kühlschrank aufzukriegen, muss man ganz feste an dem silbernen Hebel reißen, aber nicht zu feste, sonst kippt die Milch um, und die Sauerei ist da. So kam es jetzt auch, aber wichtiger waren die zwei Gemüsefächer direkt vor meinem Gesicht. Da drin lagen sie.
Wenn Mama einkaufen ging, fragte sie immer, ob sie mir eine Überraschung mitbringen soll, und schon vor Tagen hatte ich gesagt, au ja, diesmal zwei, einen kleinen Kopf Rotkohl und eine Wassermelone, weil Papa ist ein bisschen größer, und einen lila Vorschlaghammer. Lila war meine Lieblingsfarbe, und Mama hatte gelacht, woher ich denn das hätte, das komme ja gar nicht in die Tüte. Wir seien eine Künstlerfamilie, während Vorschlaghammer mehr aus dem Wortfeld Baugewerbe stamme, und morgen müsse sie mit Frau von Heinkes sprechen. Frau von Heinkes war meine Waldorf-Kindergärtnerin, aber jetzt bin ich durcheinander.
Die Gemüsefächer. Im linken Fach der Salat, rechts die Melone, und zum Glück war Papa zeitlebens ein Bastler gewesen, Stichwort Laubsägearbeit. Schon vor Tagen hatte ich Papas Laubsäge in meinem Tierekorb versteckt, aber als ich dann später ansetzte, sagten beide Aua, aber nur im Spiel und nur einmal, dann waren die Köpfe ausgetauscht.
»Mama, Papa, eure neuen sind dra-han!«
»Danke!«, brummte Papa.
»Danke!«, piepste Mama.
»Nichts zu danken«, sagte ich und krabbelte schnell in mein Hochbett. »Gute Nacht.«
»Schlaf schön«, brummte Papa. »Und denk dran: Sieben und drei am Tag geht.«
»Stimmt«, piepste Mama. »Sogar sieben und vier!«
»Ich hab euch lieb«, sagte ich, kuschelte mich in meine Decke, legte den Frosch neben mich aufs Kissen und schlief ein. Als ich erwachte, war es dunkel, und ich wusste
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