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Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Titel: Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gsella
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nicht, ob noch oder schon wieder. Aus Angst versuchte ich weiterzuschlafen, wachte auf, schlief, wachte auf und so weiter. So ging es eine ganze Zeit, und als ich zum dritten oder zehnten Mal erwachte, war mein Mund trocken, und mein Bauch wollte Fanta und Smarties, aber zuerst sagte ich zu Frosch: »Iiiih, hier stinkt’s. Mach mal das Fenster auf.« Natürlich nur im Spiel. Frosch konnte zwar laufen, Fensteraufmachen konnte aber nur Pferd. Aber das wollte ich nicht wecken. Ich hielt mir die Nase zu und schlief wieder ein.

DAS WAR MEIN ’68
    Eine tagebuchgestützte Erinnerung
    Dingeldongdingdingdongelding! Dingeldööööng! »Aufstehn, zack zack, in fünf Minuten Frühstück!« Wie jeden Morgen um Punkt Viertel vor sieben zeterte uns die neue Hausglocke aus dem Schlaf, den Rest erledigte meine kleinbürgerliche Mami: »Los getz, ihr Blagen, aufstehn und Zähne putzen, sonst komm ich hoch oder der Vatter!« Damit aber beide eben nicht hochmussten in die erste, in unsere Kinderetage, hatten sie sich diese reaktionäre Bimmelglockenstrategie ausgedacht: Mami rüttelte am Klöppel, wir fielen aus dem Bett – scheiß kapitalistische Arbeitsteilung. Eintrag im Tagebuch, 4. Februar 1968: »Schlagt den Fordismus, wo ihr ihn trefft!«
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    »Ho-Ho-Ho-Chi-Minh! Amis raus aus Vietnam!«, scheint der junge Thomas Gsella in sein tadellos geführtes Deutschheft zu schreiben.
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    Endlich bekam ich die Heilige Kommunion. Die ganze Kommune freute sich mit mir, Mama, Papa und meine revolutionären Brüder und Schwestern Peter (11), Moni (9), Luzi (8), Maria (7), Uschi (6) und Margret (5). Ich kriegte ein »Vaterland«-Fahrrad, eine Armbanduhr und Fußballschuhe mit Stutzen. Zwar lästerte Uschi, Religion sei Opium fürs Volk und die erste aller Kritik die an der Religion, aber natürlich war die deformierte Strebertussi nur neidisch.
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    Eines Morgens ging mein Lieblingsteddy kaputt. Mein Bruder Peter, ich hab’s echt genau gesehen, trampelte absichtlich drauf, nur weil der Adorno hieß und ich vorher in Peters Aufblaskrokodil Bernstein reingestochen hatte, dieses Revi-Renegatenschwein! Überhaupt wünschte ich mir einen anderen Bruder, wo er im Schulchor jetzt hinter meinem Rücken einfach vom Sopran zum Bass gewechselt hatte. Auf welcher Seite stehst du, Freund?
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    Tagebuch, 11.7.: »Rudi Duschke ist tot. Sie schrecken vor nichts zurück. Beim Schlittenfahren im Park mit Vollkaracho gegen den Kletterbaum, aber die Eltern haben ja noch acht oder neun andere – der reinste Kinderladen!«
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    Blöd: Nach einer Messdienerprobe log ich meinen eigenen Papa an. Er hatte mich gefragt, ob meine Schulaufgaben fertig seien, ich aus Versehen: Nö. Waren aber! Wo Lüge zu Recht wird, wird aber Beichten zur Pflicht. Hab ich dann auch gleich gemacht. Strafe: sieben Vaterunser, neun Muttergottes. Echt fascho: Zwei Wochen bekam ich kein Taschengeld, das machte einen Verlust von 20 Pfennig. Schon damals erschienen mir Mama und Papa als voll eindimensionale Menschen.
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    Wie viele herrliche Nachmittage spielte ich mit den Genossen Manni, Bonno, Locke und Windel »Deutschland erklärt den Krieg gegen …!« Ich wurde immer besser, am Ende besiegte ich in einem einzigen Spiel Frankreich, England, Böhmen, Pommern, Amerika und Russland. Leider ist Locke mal hingefallen, ihre neue Strumpfhose ging an beiden Knien kaputt, und sie fing total an zu weinen, weil ihre Mutter so einen autoritären Charakter hatte.
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    Tagebuch, 6.7.: »Stop dem präfaschistischen Erdbeereisverbot nach Frühstück, Mittagessen, Abendessen und anderswo!!!!!!« Immer wieder das Gefühl, an den versteinerten gesellschaftlichen Verhältnissen zu ersticken.
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    Im Sommer verknallte sich Petra aus der Mädchenklasse 5b in mich und gab mir zwei angelutschte Prickel Pits – geschenkt! Und dann hat sie gesagt, ich soll Papa und Mama fragen, ob ich mal wieder bei ihr schlafen darf und vorher gegenseitig Fünf Freunde vorlesen. Hab dann meine Eltern gebeten, dass sie Nein sagen. Ging glatt. Wer zweimal bei derselben pennt …
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    Tagebuch, 23.8.: »In der Drogenerfahrung entgrenzt sich das deformierte bürgerliche Individuum normierter Immergleichheit und befreit sich zum revolutionären Subjekt, aber Vorsicht: 20 Milky Way auf ex, und man kriegt Scheißbauchweh!! :-(«

AUS DEM NOTIZBLOCK I
    Frühvollendet
    Dieses Kind, grad seh ich’s wieder, dieses Kind und diese weißliche Pappschale,

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