Blaubeeren und Vanilleeis
wieder.
»So, jetzt möchte die kleine Vala etwas für ihre Mama singen«, sagte der Festleiter. »Sie wird sogar begleitet: Ihre Oma spielt Gitarre dazu.« Das hatte Opa heimlich organisiert.
Vala trat auf, als wäre sie eine weltberühmte Sängerin. Das Band um ihre Taille war natürlich längst abhandengekommen und ein Zipfel des Nachthemdsaums klemmte in ihrer Unterhose, doch das schmälerte ihren Auftritt nicht im Geringsten. Sie sang mit größter Hingabe aus voller Kehle
Komm, lieber Mai
und stockte kein einziges Mal im Text. Oma musste sich richtig ins Zeug legen, um mit der Sängerin Schritt zu halten. Als das Lied vorbei war, verbeugte sich Vala so, wie ihre Kolleginnen auf den Bühnen dieser Welt, und der Applaus wollte diesmal gar nicht enden.
»Jetzt singe ich alles noch mal von vorne«, sagte die Sängerin, doch Mama nahm sie auf den Arm und füllte Valas Teller, woraufhin sie alle weiteren Konzerte schlagartig vergaß.
Ob es an all dem guten Essen und Opas Rotwein lag oder an Valas Auftritt – jedenfalls wurde die Stimmung immer lebhafter, je weiter der Abend voranschritt. Als es dämmerte, ließ Opa Vildis, Tumi und ein paar andere Kinder die Kerzen in den Marmeladengläsern anzünden, und die Lichter sahen richtig zauberhaft aus im grünenden Garten.
Einer von Mamas Freunden aus dem Naturverein hatte sein Akkordeon dabei und forderte die Gäste zum Singen auf. Alle waren satt und glücklich und froh. Mama hatte darum gebeten, dass niemand eine Rede hielt. Lange Reden findet sie stinklangweilig. Doch plötzlich klopfte jemand an sein Glas. Der Filialleiter wollte offensichtlich etwas sagen. Die alte Frau stellte sich neben ihn.
»Gut, dass er eine Frau hat«, raunte Vildis ihrem Bruder zu. »Dann kann er Mama wenigstens nicht heiraten.«
»Sei nicht so blöd. Diesen Mann meinte ich nicht, das habe ich dir doch schon gesagt«, brummte Tumi.
Zunächst dankte der Filialleiter Mama herzlich für die Einladung zu diesem vorzüglichen Fest. Das sei ein Beispiel für die gute Zusammenarbeit zwischen Bank und Geschäftsfrau. Doch dann sagte er, dass er eigentlich gar nicht mehr der Filialleiter sei. Zum nächsten Monat würde jemand anders seine Stelle übernehmen, streng genommen sei das auch bereits geschehen, er selbst sei in den letzten Wochen bloß noch da gewesen, um ihn einzuarbeiten. Der, der die Bank übernehme, sei ein exzellenter Mann. »Viel besser als ich – und ungleich eleganter«, behauptete er, und alle lachten.
Tumi packte seine Schwester am Arm. »Endlich hab ich’s kapiert«, zischte er aufgeregt. »Hermann hat die Einladung nie bekommen. Sonst wäre er jetzt hier.«
»Da hat Mama ja noch mal Glück gehabt«, sagte Vildis. »Und ab jetzt lass diesen ganzen Quatsch.«
Der Filialleiter lobte jedes Haar an Mama, lobte sie für die stets pünktliche Bezahlung ihrer Rechnungen und für ihre so vernünftigen und höflichen Kinder, und dann erzählte er die ganze Geschichte von Tumis Besuch mit seiner Sparbüchse auf der Bank. »So müssen junge Männer sein«, sagte er, »an die Zukunft denken.«
Vildis guckte in Tumis Richtung und sah, dass sein Gesicht die gleiche Farbe angenommen hatte wie die Haare der Frau des Filialleiters. Knallrot.
Doch dann geschah etwas ganz und gar Unerwartetes: Der Filialleiter schloss seine Rede, indem er sich auch im Namen seiner Schwester Sesselja für die Einladung bedankte, denn Sesselja hätte darauf bestanden, mitzukommen. »Sie verfolgt mich, wohin ich auch gehe«, sagte er, »das hat sie schon immer getan.« Die Zuhörer kicherten und Sesselja lachte am lautesten von allen. »Wir wohnen immer noch zusammen, wir alten Knacker, und werden uns wohl auch in Zukunft kaum trennen.«
»Einer muss sich schließlich um dich kümmern«, rief Sesselja dazwischen. »So unmöglich schusselig, wie du bist.«
Die Gäste klatschten daraufhin fröhlich Beifall, und Opa ließ alle ihre Gläser heben und auf den alten Filialleiter und seine Schwester Sesselja anstoßen.
Dann stellte sich heraus, dass Sesselja ganz verrückt nach Töpferwaren war, also musste Mama mit ihr zur Werkstatt laufen und ihr alles zeigen. Am liebsten hätte Sesselja gleich alles gekauft, was da war, doch Mama sagte, dass das im Moment leider nicht ginge und Sesselja noch einmal wiederkommen müsse. Denn jetzt musste Mama sich um die Gäste kümmern.
Als es kühler wurde, bat sie die Gäste zu Kaffee und Omas Gebäck ins Haus, und so ging dieser überraschungsreiche Abend zu Ende.
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