Blaubeertage (German Edition)
nicht ich. »Ich neige zu den ewigen Schreihälsen.«
»Wie bitte?«
Ich zeige auf die Porzellanversion eines brüllenden Babys; den Mund hat es zu einem stummen Schrei weit geöffnet, die Augen fest zusammengekniffen. »Ich hab’s lieber, wenn ich ihnen nicht in die Augen sehen muss. Augen können viel ausdrücken. Die da zum Beispiel: ›Ich will deine Seele, kehr mir ja nicht den Rücken zu.‹«
Ich werde mit einem Lächeln belohnt, das all die harten, arroganten Kanten aus seinem Gesicht nimmt und ihn ausgesprochen attraktiv erscheinen lässt. Das Lächeln sollte er sich angewöhnen. Aber bevor ich den Gedanken überhaupt zu Ende gedacht habe, ist es verschwunden.
»Der Geburtstag meiner Grandma steht an und ich soll für sie eine Puppe aussuchen.«
»Da kann man nichts falsch machen. Wenn sie Porzellanpuppen mag, werden ihr die hier alle gefallen.«
Er schaut wieder auf die Regale voller Puppen. »Warum denn die Schreihälse? Warum nicht die Schläfer?« Er zeigt auf ein friedlich schlafendes Baby; eine rosa Schleife hält die blonden Locken zusammen, seine Hände hat es unters Kinn gesteckt, das Gesicht ist entspannt.
Ich betrachte es und vergleiche es mit dem Schreihals neben ihm. Das Baby mit den geballten Fäusten, den zusammengekrallten Zehen und den Wangen, die vor Zorn rosa angelaufen sind.
»Weil das mein Leben ist: Schreien, ohne einen Laut von mir zu geben.« Okay, das sage ich natürlich nicht laut. Ich denke es. In Wirklichkeit antworte ich: »Beide gehen.« Denn wenn es eins gibt, was ich von Kunden gelernt habe, dann dass sie nicht wirklich deine Meinung hören wollen. Sie wollen nur Bestätigung. Wenn Mr Rich das schlafende Baby für Grandma haben möchte, warum sollte ausgerechnet ich ihn davon abhalten?
Er schüttelt seinen Kopf, als wollte er einen Gedanken vertreiben, und zeigt auf ein völlig anderes Regal, das mit den Puppen der Sorte Seelenfresser. Das Mädchen, auf das er zeigt, steckt in einer karierten Schuluniform und hält einen schwarzen Scottish Terrier an der Leine. »Ich schätze mal, die hier wird passen. Sie mag Hunde.«
»Wer? Deine Großmutter oder« – ich kneife die Augen zusammen, um das Namenschild der Puppe zu lesen, – »Peggy?«
»Dass Peggy Hunde mag, ist ja wohl offensichtlich«, sagt er und ein kleines Lächeln erscheint auf seinen Lippen. »Ich meinte meine Großmutter.«
Ich öffne den unteren Schrank, um nach dem Karton der Puppe zu suchen. Ich ziehe ihn heraus, nehme vorsichtig das Mädchen und seinen Hund mitsamt seinem Namenschild aus dem Regal und bringe alles zur Kasse. Während ich die Puppe behutsam einpacke, zeigt Mr Rich auf sie. »Warum hat der Hund keinen Namen?« Er zitiert die Aufschrift auf dem Karton: »Peggy und Hund.«
»Weil Leute Tiere gerne nach ihren geliebten Haustieren benennen.«
»Echt jetzt?«
»Nein. Keine Ahnung. Ich kann dir die Telefonnummer von Peggys Schöpferin geben, falls du dich erkundigen möchtest.«
»Du hast wirklich die Telefonnummer von ihr?«
»Nein.« Ich tippe den Preis in die Kasse ein und drücke auf Summe.
»Du bist nicht leicht zu durchschauen«, sagt er.
Warum will er mich durchschauen? Wir unterhalten uns über Puppen!
Er reicht mir eine Kreditkarte und ich ziehe sie durch den Scanner. »Xander Spence« steht auf der Karte. Wird Xander wie »S-ander« oder wie »Ks-ander« ausgesprochen? Ich werde ihn nicht fragen. Es ist mir egal. Ich bin schon freundlich genug gewesen. Mit unserem Wortwechsel hätte ich mir nicht mal eine Mom-Predigt eingehandelt, wäre sie im Laden gewesen. Meine Mom ist viel besser als ich darin, ihre Abneigungen zu verstecken. Sie versteckt sie sogar vor mir. Jahrelange Übung eben.
Sein Handy klingelt und er zieht es aus der Hosentasche. »Hallo?«
Während ich darauf warte, dass das Kreditkartenlesegerät den Beleg ausdruckt, öffne ich die Schublade unter der Kasse und lege das Namensschild zu den anderen, die wir in diesem Monat verkauft haben. Das ist unser System für die Nachbestellungen.
»Ja. Ich habe eine gefunden. Mit Hund.« Er hört eine Minute zu. »Nein. Sie ist kein Hund. Sie hat einen Hund. Die Puppe hat einen Hund.« Er dreht den Karton um und schaut auf das Bild von Peggy, weil die echte Peggy schon eingepackt ist. »Vermutlich ist sie süß.« Er schaut mich an und zieht die Schultern hoch, als wollte er fragen, ob ich zustimme. Ich nicke. Peggy ist definitiv süß.
»Ja, das Mädel hinter der Kasse hat es bestätigt. Sie ist süß.«
Mir ist
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