Blaubeertage (German Edition)
1.
M ein Blick brennt ein Loch in das Papier. Ich kann das doch! Normalerweise nehme ich Mathegleichungen ohne Probleme auseinander, aber diesmal will mir die Lösung einfach nicht einfallen. Die Ladenglocke klingelt. Ich stopfe meine Hausaufgaben schnell unter den Tresen und schaue hoch. Ein Typ kommt rein, er telefoniert.
Das ist mal was Neues.
Nicht die Tatsache, dass jemand telefonierend den Laden betritt, sondern dass dieser Jemand ein Typ ist. Es ist nicht so, dass niemals Männer in den Puppenladen kämen … okay, okay, es ist so. Es kommen niemals Männer in den Laden. Wenn überhaupt, werden sie von ihren Frauen regelrecht reingezogen und wirken peinlich berührt … oder gelangweilt. Auf den hier trifft weder das eine noch das andere zu. Er ist ganz allein und wirkt ausgesprochen selbstbewusst. Die Art von Selbstbewusstsein, die einem nur Reichtum und Geld verleihen. Viel Geld.
Ich lächele. In unserem kleinen Küstenort gibt es zwei Sorten von Menschen: die Reichen und die Leute, die den Reichen irgendwelches Zeug verkaufen. Geld zu haben, verpflichtet anscheinend dazu, nutzloses Zeug – zum Beispiel Porzellanpuppen – zu kaufen (allerdings sollte man die Worte »nutzloses Zeug« im Zusammenhang mit Puppen in der Gegenwart meiner Mutter vermeiden). Die Reichen dienen unserer tagtäglichen Unterhaltung.
»Was meinst du damit, dass ich sie aussuchen soll?«, fragt Mr Rich in sein Handy. »Hat dir Grandma nicht gesagt, welche sie haben wollte?« Er stößt einen langen Seufzer aus. »Schon gut. Ich kümmere mich darum.« Er steckt sein Handy in die Hosentasche und winkt mich zu sich heran. Richtig. Er winkt mich heran. Es ist der einzige Begriff, mit dem sich seine Handbewegung beschreiben lässt. Er hat mich nicht einmal mit einem kurzen Blick gewürdigt, sondern nur seine Hand hochgehalten und zwei Finger in seine Richtung bewegt. Mit der anderen Hand streicht er sich übers Kinn und beäugt kritisch die Puppen im Regal.
Während ich zu ihm gehe, mustere ich ihn von Kopf bis Fuß. Ein Ungeübter erkennt vielleicht nicht die Kohle, die diesem Typen förmlich aus jeder Pore trieft, aber mit Reichen kenne ich mich aus, und der hier stinkt vor Geld. Sein Outfit kostet wahrscheinlich mehr als alle Klamotten in meinem winzigen Schrank zusammen. Nicht, dass es teuer aussieht. Er macht einen auf Understatement: Cargohose, rosa Button-Down-Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln. Aber die Kleider stammen eindeutig aus einem Geschäft, in dem man sich auf eine hohe Fadenzahl und dreifache Nähte spezialisiert hat. Es ist klar zu erkennen, dass er den gesamten Laden kaufen kann, wenn er will. Na gut, nicht er, seine Eltern. Es ist mir eben gar nicht aufgefallen, weil sein selbstbewusstes Auftreten ihn älter erscheinen lässt, aber jetzt, wo ich vor ihm stehe, stelle ich fest, dass er noch jung ist. Möglicherweise mein Alter? Siebzehn. Vielleicht ein Jahr älter. Wie kann jemand in meinem Alter schon so perfekt Leute zu sich heranwinken? Durch ein Leben voller Privilegien, so viel steht fest.
»Kann ich Ihnen behilflich sein, Sir?« Nur meine Mom hätte den sarkastischen Unterton heraushören können.
»Ja, ich brauche eine Puppe.«
»Tut mir leid, die sind alle ausverkauft.« Viele kapieren meinen Humor nicht. Meine Mom nennt ihn trocken, was vermutlich das Gleiche bedeuten soll wie »unlustig«. Heißt aber auch, dass ich die Einzige bin, die weiß, dass ich einen Witz mache. Wenn ich anschließend lachen würde wie meine Mom, während sie Kunden bedient, würden vielleicht mehr Leute mitlachen – aus reiner Höflichkeit –, aber dazu kann ich mich nicht überwinden.
»Sehr lustig«, sagt er, aber nicht so, als fände er es tatsächlich lustig, mehr so, als wünschte er sich, ich würde überhaupt nicht sprechen. Angesehen hat er mich immer noch nicht. »Also, was glauben Sie, welche von denen könnten einer älteren Dame vielleicht gefallen?«
»Alle.«
Sein Kiefermuskel arbeitet und dann dreht er sich zu mir um. Für den Bruchteil einer Sekunde sieht er überrascht aus, als hätte er irgendeine ältere Dame erwartet – ich schiebe die Schuld auf meine Stimme, die tiefer als der Durchschnitt ist –, was ihn aber nicht davon abhält, den Satz auszusprechen, der ihm bereits auf den Lippen liegt: »Welche gefällt Ihnen?«
Darf ich »keine« sagen? Mal abgesehen von der Tatsache, dass der Laden ein Bestandteil meines Lebens und meiner Zukunft ist, den ich nun mal nicht ändern kann, liebt meine Mom ihn,
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