Blaulicht
sein Kollege meinte, es könnte sich um PepZero handeln, zumindest legten Geruch und Konsistenz der Substanz diese Vermutung nahe. Und vielleicht würde man heute doch noch ein Ergebnis bekommen.
Mattusch steht vor dem Getränkeautomaten und ertappt sich bei dem Wunsch, am liebsten eine Taste mit der Aufschrift »Held-Bräu« zu drücken. Oder »Hetzelsdorfer«. Wenn es denn eine solche gäbe. Er ertappt sich außerdem bei der Frage, warum er das Gefühl hat, diesem Mädchen helfen zu wollen, ohne zu wissen, ob er überhaupt dazu im Stande ist. Vielleicht, weil ihm Kalz vorhin am Telefon knapp die Familienverhältnisse im Hause Kovács skizziert hat? Vielleicht, weil Mattusch selbst Vater von einem Jungen und zwei Mädchen ist, die ältere in Zoes, die jüngere in Sandras Alter? Vielleicht auch nur, weil er nicht glauben will, dass hier trotz der Faktenlage alles so eindeutig ist, wie es scheint? Apropos Kalz, wo ist der eigentlich? Müsste der nicht schon längst wieder zurück sein? Verfluchte Hitze, wahrscheinlich hat er es am Telefon gesagt, aber Mattusch hat das Gefühl, statt eines Gehirns nur noch klebrigen Dampf im Kopf zu haben, den eine Apfelsaftschorle nur kurzfristig etwas runterkühlt. Von Zoe, die zuerst einen Teil des Papierkrams erledigt hatte und anschließend in die Klinik gefahren war, hatte er erfahren, dass Wolfgang Gerlach wegen des starken Blutverlustes durch die Verletzung der Halsschlagader sowie wegen des Messerstichs in den Brustkorb in ein künstliches Koma versetzt worden und somit nicht vernehmungsfähig war. Ein schöner Schlamassel! Mattusch müsste sich wirklich etwas einfallen lassen, um Zeit zu gewinnen.
Und wie bestellt kommt der Anruf, den er erwartet hat und dem er doch so gern entgangen wäre. Selbst wenn sich seine Schorle jetzt doch noch wie durch ein Wunder in ein Hetzelsdorfer verwandeln würde, allein die Stimme von Tobisch reicht aus, um ihm jegliche Form von Appetit zu verderben. Diese etwas zu dünne, etwas zu hohe Stimme, die klingt, als habe Tobisch permanent ein Monokel im Auge und eine Pinzette in der Hand, um die Welt auf Dinge zu untersuchen, die ihm eventuell nicht passen könnten. Ob er sich an den Fall Klatte erinnern könne, fragt Tobisch denn auch gleich wie ein Oberlehrer unter Kaiser Wilhelm, und dummerweise konnte Mattusch nicht.
»Nein?«
Mattusch glaubt, durchs Telefon zu sehen, wie das Eulengesicht die Augenbrauen hochzieht.
»Im vergangenen Dezember hat in Bremen ein Schüler seine Lehrerin auf offener Straße niedergestochen. Kommt Ihnen das irgendwie bekannt vor? Dieser Tat sind schwere Versäumnisse vorausgegangen, sowohl seitens der Schulleitung als auch seitens der Polizei. Vor dem Thema ›Gewalt gegen Lehrer‹ verschließen immer noch zu viele die Augen. Insbesondere dann, wenn es um Täter mit Migrationshintergrund geht. Wo befindet sich denn die Kovács momentan? Ist sie bereits vernommen worden?«
»Sie ist auf der Intensivstation im Nordklinikum.« Mattusch verzichtet darauf zu erklären, dass Sandra keinen Migrationshintergrund hat und wenn, dann einen, der irgendwo in ihrer Ahnenliste zu finden ist. Stattdessen wartet er auf das berühmte Tobisch-Pfeifen, und da kommt es auch schon:
»Piuhhh piuhhh!« Die zwei Töne, von oben nach unten gezogen und durch schmal zusammengepresste Lippen ausgestoßen, stehen für Alarmstufe rot.
»Sie wissen, dass wir dort für nichts garantieren können?!«
»Natürlich. Aus diesem Grund sitzt auch ein Beamter vor der Tür.«
»Piuhhh piuhhh! Wie ist der Zustand von Frau Kovács?«
Das ist genau die Frage, für die der Joker bestimmt ist, nur wie soll er ihn einführen? Nach und nach, langsam darauf zuführen oder doch besser auf den Überraschungseffekt setzen? Mattusch entschließt sich blitzschnell für die zweite Variante:
»Sie ist eine Zeitbombe!«
»Sie ist eine was?«
Mattusch schnappt nach Luft, bevor er antwortet. Die Luft schmeckt nach heißem Straßenpflaster.
»Herr Tobisch, Sie wissen, dass wir bereits vier Todesfälle haben, die alle in Zusammenhang mit einer bestimmten Droge stehen, die irgendwo aus dem Osten kommt und seit einigen Wochen im Großraum in Umlauf ist.«
»PepZero. Ich weiß.«
»Sandra Kovács hatte PepZero im Blut. Da wir nicht wissen, unter welchen Umständen diese Droge tödlich ist, geht der behandelnde Arzt von einer ernstzunehmenden Gefahr für ihr Leben aus und hat sie für nicht transportfähig erklärt.«
Das war glatt gelogen und Mattusch hofft nur,
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