Blaulicht
in dem Viertel meine Ohren gespitzt und mir ein paar Nächte um dieselben geschlagen, und dabei ist mir ein paarmal ein dunkelgrauer BMW Kombi mit tschechischem Kennzeichen aufgefallen. Mal vor der Werkstatt, mal irgendwo um die Ecke. Natürlich hab ich mich mit der Simaková in Pilsen kurzgeschlossen. Und siehe da! Wem gehört der Wagen? Einem gewissen Miroslav Janda, seines Zeichens – sagen wir mal – Geschäftspartner von einem Geschäftspartner vom Kníže und der Pilsener Polizei gut bekannt.«
»Kníže?«
»Hab ich die Simaková schon vor einiger Zeit mal gefragt – wer ist Kníže? Die Antwort auf gut Deutsch: der Fürst. Der Fürst von Pilsen. Und wer sich beim Kníže unbeliebt macht, der braucht sich keinen Sarg und keine Urne vorbestellen, denn von dem bleibt im Normalfall nix mehr übrig. Das heißt, wenn sie den Fürsten jemals vor Gericht bringen, könnte das ein Prozess mit äußerst spärlichen Zeugenaussagen werden.«
»Und was ist jetzt mit diesem Viktor?«
»Der ist heute Abend noch fällig. Und für morgen bist du eingeladen, ihn dir in deiner Sache einmal vorzuknöpfen. Na? Ist das was?«
Milan strahlt, als würde er Kalz einen selbstgebastelten Sampler mit seinen persönlichen Greatest Hits aus fünfzig Jahren Rockgeschichte überreichen.
*
Als Zoe Kandeloros am frühen Abend ihr Fahrrad über das warme Pflaster der Ludwigstraße in Richtung Plärrer schiebt, vorbei an all den Stühlen und Sesseln, die auf dem Bürgersteig vor den Wirtschaften stehen, vorbei an den vielen Flachbettmonitoren, die vor den Hausfassaden aufgebaut worden sind – »geh weiter, Madla, du bist fei net aus Glas!« – vorbei an dem Kondomgeschäft, der Kentucky Fried Chicken -Filiale, dem Asiaimbiss, dem Shishacafé und dem Dönerrestaurant, kommt sie sich vor, als würde sie die Welt um sich herum wie durch einen Nebel wahrnehmen oder durch eine Scheibe aus getöntem Glas. In der Stadt herrscht Ausnahmezustand – König Fußball regiert die Welt und umgibt sich mit einem Mantel aus Geräuschen, die entfernt an einen ausschwärmenden Hornissenstock erinnern. Es hupt, es trötet, es schreit, es klatscht und pfeift, und auf den Fernsehbildschirmen laufen winzige Asiaten hinter einem Ball her, der ihnen von der gegnerischen Mannschaft immer wieder abgenommen wird. Aus einem Chor von Lautsprechern verkündet ein Moderator, dass es immer noch null zu null im Spiel Japan gegen Paraguay stehe und man sich wohl so langsam auf das erste Elfmeterschießen dieser Weltmeisterschaft einstellen könne. Es kommen ihr nur wenige Menschen entgegen, die meisten sitzen gebannt vor den Mattscheiben.
Was weiß man von ihnen, von dem, was in ihren Köpfen, in ihren Seelen geschieht, wenn sie nicht gerade vom kollektiven Fußballfieber erfasst sind? Welche Geschichten tragen sie mit sich herum, wie viele gute und wie viele schlechte Erinnerungen? Zoe weiß, dass sie die Blutlache auf dem Pflaster der Kaulbachstraße nicht so schnell wieder vergessen wird, genauso wenig wie das Gesicht des Bauarbeiters und den vollkommen verstörten, aufgelösten Ausdruck darin – es hatte ausgesehen, als wäre in ihm etwas zusammengestürzt, ein Gerüst, auf dessen Stabilität er sich sein Leben lang verlassen hatte.
Sie ist auf dem Weg in ihre »Mädels-WG« in der Bauerngasse. Sie hätte auch bei ihren Eltern wohnen können, aber sie wollte Unabhängigkeit. Über die Freundin einer Freundin hatte sie von dem Zimmer erfahren und war noch am selben Tag zu den beiden Frauen in der geräumigen Altbauwohnung gefahren. Die Prozedur, der sie sich unterziehen musste, war zwar ein wenig seltsam – sie hatte sich unwillkürlich an die Aufnahmebefragung zur Polizeiakademie vor einigen Jahren erinnert gefühlt – aber sie hatte das hübsche Zimmer bekommen, offenbar war sie ihren beiden Mitbewohnerinnen sympathisch, und diese Sympathie beruht durchaus auf Gegenseitigkeit.
Vor dem Marktkauf kollidiert Zoe beinahe mit einem
Rennradfahrer, der aus Richtung des ehemaligen Kali-Kinos kommt, in dem jetzt schon seit Jahren ein Puppentheater residiert. Er entschuldigt sich nicht, knurrt nur irgendwas von wegen Kanakenbraut, fährt an ihr vorbei über die Straße und entschwindet ins Innere der Altstadt, dorthin, woher sie gerade gekommen ist. Sie schaut ihm noch nach, als er schon lange nicht mehr zu sehen ist.
Wir hängen doch alle irgendwie an Fäden, denkt sie, genau wie all die Puppen im alten Kali , und so wenig wie sie
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