Bleakhouse
Schwester, daß beide zusammengeknetet kaum einen jungen Menschen von Durchschnittsproportionen ergeben hätten, während sie allein ein so glückliches Beispiel der Familienähnlichkeit mit dem Affengeschlecht ist, daß sie, mit Tressenjacke und Mütze aufgeputzt, ruhig, ohne aufzufallen, auf einer Drehorgel sitzen könnte. Gegenwärtig jedoch trägt sie natürlich nur einen einfachen knappen Rock von braunem Stoff.
Judy hat nie eine Puppe gehabt, hat nie vom Aschenbrödel gehört oder irgendein Spiel gespielt. Als sie ungefähr zehn Jahre alt war, kam sie ein oder zwei Mal in Kindergesellschaft, aber die Kinder konnten nicht mit Judy und Judy nicht mit ihnen auskommen. Sie schien ein Geschöpf anderer Gattung zu sein, und auf beiden Seiten herrschte ein instinktiver Widerwille.
Ob Judy lachen kann, ist fraglich. Sie hat es so selten gesehen, daß die Wahrscheinlichkeit sehr dagegen spricht. Von einem kindlichen Lachen hat sie bestimmt keinen Begriff. Wenn sie zu lachen versuchen würde, stünden ihr wahrscheinlich die Zähne im Weg, denn sie ahmt in jeder Miene das Greisenalter nach, das um sie ist. So ist Judy.
Und ihr Zwillingsbruder hat in seinem ganzen Leben noch nie einen Kreisel aufgewunden. Von dem Däumling, der den Riesen totschlug, oder Sindbad, dem Seefahrer, weiß er nicht mehr als von den Bewohnern der Sterne.
Von Bockspringen oder Ballspielen hatte er schon gar nie eine blasse Ahnung. Aber insofern ist er glücklicher als seine Schwester, als in seine enge Welt der Tatsachen ein Dämmerschein der höheren Regionen gedrungen ist, die innerhalb des Gesichtskreises Mr. Guppys liegen, dieses glänzenden Zauberers. Deshalb seine Bewunderung vor diesem strahlenden Stern.
Mit einem gongähnlichen Geräusch setzt Judy eins der eisenblechernen Teebretter auf den Tisch und verteilt Ober- und Untertassen. Das Brot legt sie in ein eisernes Körbchen und ein wenig Butter auf einen kleinen Zinnteller. Großvater Smallweed sieht scharf hin, wie der Tee eingeschenkt wird, und fragt Judy, wo das Mädchen ist.
»Charley, meinst du?« fragt Judy.
»He?«
»Charley, meinst du?«
Das berührt eine Feder in Großmutter Smallweeds Erinnerungsuhrwerk. Und wie gewöhnlich den Dreifuß angrinsend, schreit sie:
»Über dem Wasser. Charley über dem Wasser! Charley über dem Wasser. Über das Wasser zu Charley! Charley über dem Wasser! Über das Wasser zu Charley!« – und wird ganz lebhaft dabei.
Der Großvater sieht sich nach dem Kissen um, hat sich aber von seiner letzten Anstrengung noch nicht genügend erholt.
»Ha!« fragt er, als Stille eingetreten ist. »Heißt sie so? Sie ißt viel. Es wäre besser, ihr Kostgeld zu geben.«
Mit dem schlauen Augenzwinkern ihres Bruders schüttelt Judy den Kopf und spitzt ihre Lippen zu einem Nein, ohne es auszusprechen.
»Nein?« wiederholt der Alte. »Warum nicht?«
»Wir würden ihr sechs Pence täglich geben müssen und können es billiger machen«, sagt Judy.
»Bestimmt?«
Judy antwortet mit einem höchst bedeutsamen Nicken und schrillt, während sie so sparsam wie möglich die Butter auf das Brot kratzt und es in Scheiben schneidet: »Charley, wo bist du?«
Schüchtern erscheint ein kleines Mädchen in einer groben Schürze und einem großen Hut, die Arme mit Seifenschaum bedeckt und in der Hand eine Scheuerbürste, und knickst.
»Was machst du jetzt?« herrscht Judy sie an und schnappt nach ihr wie eine bösartige alte Hexe.
»Ich scheuere das Hofzimmer oben, Miß.«
»Mach es ordentlich und trödle nicht. Schlamperei paßt mir nicht. Mach rasch! Fort!« ruft Judy und stampft mit dem Fuß auf den Boden. »Ihr Mädchen macht einem doppelt so viel Arbeit, als ihr wert seid.«
Als diese strenge Matrone wieder an ihre Beschäftigung geht, Butter auf das Brot zu kratzen, fällt der Schatten ihres Bruders, der zum Fenster hereinsieht, auf sie. Messer und Brot in der Hand, macht sie ihm die Haustür auf.
»Nun, Bart!« sagt Großvater Smallweed. »Da bist du ja. He?«
»Da bin ich«, nickt Bart.
»Wieder mit deinem Freund zusammen gewesen, Bart?«
Small nickt.
»Auf seine Kosten zu Mittag gegessen, Bart?«
Small nickt wieder.
»Das ist recht. Lebe auf seine Kosten, soviel du kannst, und laß dich durch sein törichtes Beispiel warnen. Das ist der Nutzen eines solchen Freundes. Der einzige Nutzen, den du aus ihm ziehen kannst«, sagt der ehrwürdige Weise.
Der Enkel könnte diesen guten Ratschlag ehrerbietiger aufnehmen, aber er billigt ihn mit einem
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