Bleakhouse
Gegensatz, den man sich nur denken kann. Wie er in der Mitte des grämlich aussehenden Zimmers sitzt, ein wenig vorgebeugt, die Hände auf die Schenkel gestützt und die Ellbogen auswärts gekehrt, sieht er aus, als könnte er, wenn er lange hier bliebe, die ganze Familie samt dem Haus und seinen vier Zimmern nebst Küche absorbieren.
»Reiben Sie sich vielleicht die Beine, um Leben hineinzureiben?« fragt er Großvater Smallweed, nachdem er sich im Zimmer umgesehen hat.
»S ist so eine Gewohnheit, Mr. George, und... hm, ja... Es unterstützt auch die Zirkulation.«
»Die Zir-ku-la-tion«, wiederholt Mr. George, faltet seine Arme auf der Brust und sieht dadurch noch zwei Mal so groß aus. »Wird nicht mehr viel davon vorhanden sein, sollte ich meinen.«
»Nun ja, ich bin alt, Mr. George«, gibt Großvater Smallweed zu. »Aber ich trage meine Jahre noch recht rüstig. Ich bin älter als sie«, fügt er mit einem Kopfnicken auf seine Gattin hinzu. »Und schauen Sie sie an, wie sie ist... Verdammtes Höllenplappermaul!« ruft er in plötzlich wiedererwachender Feindseligkeit.
»Die arme alte Seele!« sagt Mr. George mitleidig und wendet ihr sein Gesicht zu. »Schelten Sie die alte Dame nicht. Sehen Sie sie nur an, wie sie dasitzt, die Mütze halb auf dem armseligen Kopf, im Stuhl. Fast wie ein Bündel. Munter, Maam. So ist's recht. Na also... Denken Sie an Ihre Mutter, Mr. Smallweed«, Mr. George hat unterdessen der Alten ein wenig aufgeholfen und kehrt jetzt wieder zu seinem Platz zurück, »wenn Ihnen Ihre Frau nicht genügt.«
»Sie selbst sind wahrscheinlich ein vortrefflicher Sohn gewesen, Mr. George«, wirft der Alte mit einem spöttischen Lächeln hin.
Mr. Georges Gesicht rötet sich etwas lebhafter, als er antwortet: »Nun, nein, ich war das gerade nicht.«
»Ah, da staune ich.«
»Ich auch. Ich hätte ein guter Sohn sein sollen und glaube, ich hatte auch die Absicht, es zu sein. Aber ich war's nicht. Ich war ein verdammt schlechter Sohn. Das ist das Lange und Breite von der Geschichte. Und ich habe nie jemand Ehre gemacht.«
»Merkwürdig!« höhnt der Alte.
»Je weniger wir davon sprechen, desto besser ist's«, beginnt Mr. George von neuem. »Kommen Sie. Sie wissen, was wir ausgemacht haben. Immer eine Pfeife für die zwei Monate Zinsen. Ba, s ist schon gut. Sie brauchen sich nicht wegen der Pfeife zu fürchten. Hier ist der neue Wechsel, und hier sind die zwei Monate Zinsen. Es ist verteufelt schwer, sie in meinem Geschäft zusammenzubringen.«
Mr. George sitzt mit verschränkten Armen da und scheint die Familie und die ganze Stube in sich hineinzuatmen, während Judy dem Großvater Smallweed zwei schwarze Ledertaschen aus einem Schreibtisch holt.
In eine derselben kommt das eben erhaltene Dokument, und aus der anderen übergibt der alte Herr ein ähnliches Mr. George, der es nimmt und zu einem Fidibus zusammendreht.
Da Mr. Smallweed durch die Brille jeden Federstrich der beiden Dokumente genau vergleicht und das Geld drei Mal durchzählt und sich von Judy jedes Wort, das sie spricht, mindestens zwei Mal wiederholen läßt und in seiner Rede und allen seinen Bewegungen so zitterig und langsam wie nur möglich ist, dauert dieses Geschäft ziemlich lange. Erst als er ganz fertig ist, und nicht eine Sekunde früher, machen sich seine gierigen Augen und Finger davon los, und er beantwortet Mr. Georges letzte Bemerkung mit den Worten:
»Fürchten, die Pfeife zu bestellen? So knickerig sind wir nicht, Sir. Judy, hol sogleich die Pfeife und das Glas Brandy mit Wasser für Mr. George.«
Die lieblichen Zwillinge haben die ganze Zeit über geradeaus gesehen, außer wenn sie von den schwarzen Ledertaschen abgelenkt wurden, entfernen sich jetzt und verschmähen den Gast und überlassen ihn dem Alten, wie zwei junge Bären einen Reisenden dem väterlichen Petz überlassen würden.
»So sitzen Sie wohl den ganzen Tag da?« fragt Mr. George, die Arme auf der Brust verschränkt.
»Jawohl, jawohl«, nickt der Alte.
»Und Sie beschäftigen sich mit gar nichts?«
»Ich sehe dem Feuer zu – und dem Kochen und Braten.«
»Wenn etwas da ist«, betont Mr. George mit großem Nachdruck.
»Jawohl, wenn etwas da ist.«
»Lesen Sie nichts oder lassen Sie sich nicht vorlesen?«
Der Alte schüttelt triumphierend und schlau den Kopf.
»Nein, nein. Unsere Familie hat sich nie ans Lesen gehalten. Es schaut nichts dabei heraus. Unsinn. Faulenzerei. Dummes Zeug. Nein, nein.«
»Zwischen euch beiden ist auch eine
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