Bleakhouse
schon so lange dauere, entdecken können.
»Wenn ihr jetzt alle fertig seid«, sagt Judy und räumt auf, »will ich das Mädchen zum Tee hereinholen. Sie würde nie fertig werden, wenn ich ihr den Tee draußen in der Küche gäbe.«
Charley wird also hereingerufen und setzt sich unter einem heftigen Kreuzfeuer von Blicken zu ihrem Tee und einer druidischen Ruine von Butterbrot hin. Bei der Beaufsichtigung des Mädchens scheint Judy Smallweed ein wahrhaft geologisches Alter zu erreichen und auszusehen, als ob sie aus den fernsten Zeitepochen herstamme. Ihr System, mit oder ohne Anlaß über das Kind herzufallen, es auszuschimpfen, ist geradezu wunderbar und beweist eine Fertigkeit im Mißhandeln von Dienstboten, die selbst jahrhundertealte Übung nur selten verleiht.
»Glotze nicht den ganzen Nachmittag in der Stube herum«, ruft sie und stampft mit dem Fuß, als sie zufällig einen Blick des Kindes auf den Teekessel erhascht, »verzehre deinen Proviant und geh wieder an die Arbeit.«
»Ja, Miß.«
»Sage nicht ja«, fährt Miß Smallweed auf. »Ich weiß schon, wie ihr Mädchen seid. Tue es, ohne zu reden, dann fang ich vielleicht an, dir zu glauben.«
Charley schlingt einen großen Schluck Tee hinunter, zum Zeichen der Unterwürfigkeit, und zerstört die druidischen Ruinen so sehr, daß Miß Smallweed ihr vorwirft, gefräßig zu sein, »was bei euch Mädchen«, wie sie sagt, »so abstoßend ist«. Es würde Charley wahrscheinlich noch schwerer fallen, Judys Anforderungen, wie Mädchen sein müßten, zu entsprechen, wenn man nicht ein Klopfen an der Tür hörte.
»Sieh nach, wer's ist, und kaue nicht beim Aufmachen«, ruft Judy.
Während sich die Zielscheibe ihrer Liebenswürdigkeiten zu diesem Zweck entfernt, benützt Miß Smallweed die Gelegenheit, um die Reste von Brot und Butter zusammenzuschieben und ein paar schmutzige Teetassen in die ebbende Flut des Teekessels zu werfen; ein Wink, daß sie das Essen und Trinken für beendigt ansieht.
»Nun, wer ist's und was will er?« fragt sie dann spitzig.
Es ist ein gewisser Mr. George, wie sich herausstellt. Ohne weitere Anmeldung oder Zeremonie tritt Mr. George ein.
»Pfui Teufel!« sagt Mr. George. »Habt ihr's aber heiß hier. Immer ein Feuer, was? Na! Vielleicht tut ihr gut, euch beizeiten daran zu gewöhnen.« Mr. George spricht diese letzten Worte zu sich selbst, während er Großvater Smallweed zunickt.
»Ho! Sie sind's?« ruft der alte Herr. »Wie geht's? Wie geht's?«
»Soso mittel«, antwortet Mr. George und nimmt einen Stuhl.
»Ihre Enkelin habe ich bereits die Ehre zu kennen. Ihr Diener, Miß.«
»Hier, mein Enkel«, stellt Großvater Smallweed Bart vor. »Sie kennen ihn noch nicht. Er ist in einer Kanzlei und nicht viel zu Hause.«
»Ihr Diener, ebenfalls! – Er ist wie seine Schwester. Ganz seine Schwester. Verflucht ähnlich sieht er seiner Schwester.« Mr. George legt einen großen, nicht sehr höflich klingenden Nachdruck auf seine Worte.
»Und wie geht die Welt mit Ihnen um, Mr. George?« fragt Großvater Smallweed und reibt sich langsam die Schenkel.
»So ziemlich wie gewöhnlich. Wie mit einem Fußball.«
Mr. George ist ein sonnenverbrannter Mann von etwa fünfzig Jahren, gut gebaut und hübsch von Gesicht, mit schwarzem Kraushaar, hellen Augen und einer breiten Brust. Seine sehnigen und kräftigen Hände, so sonnenverbrannt wie sein Gesicht, sind offenbar an ein rauhes Leben gewöhnt. Seltsam an ihm ist, daß er immer nur auf der Vorderkante des Stuhles sitzt, als ob er aus alter Gewohnheit Raum ließe für ein Kleidungsstück oder eine Rüstung. Auch sein Schritt ist taktmäßig und wuchtig und würde gut zu Sporenklirren passen. Er ist glatt rasiert, aber sein Mund sieht aus, als ob die Oberlippe seit vielen Jahren einen großen Schnurrbart gewohnt gewesen wäre, und die Art, wie er manchmal mit seiner breiten braunen Hand darüber streicht, verstärkt diese Vermutung. Man möchte glauben, daß Mr. George einmal früher Kürassier gewesen sei.
Zu der Familie Smallweed bildet Mr. George einen ganz besondern Kontrast. Wohl noch nie ist ein Kavallerist in einem ihm unähnlicheren Haushalt einquartiert gewesen. Er verhält sich zu ihr wie ein Schlachtschwert zu einem Krebsmesser. Seine entwickelte Gestalt und ihre verkümmerten Formen, sein breitspuriges Wesen, dem das Zimmer zu klein scheint, und ihre kleine verkümmerte Weise, seine tönende Stimme und ihre spitzigen unansehnlichen Töne bilden den stärksten und seltsamsten
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