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Bleakhouse

Bleakhouse

Titel: Bleakhouse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Liebe darin aussprach. Er lautete ganz so, wie er selbst zu mir gesprochen haben würde. Ich sah sein Gesicht vor mir und hörte seine Stimme und fühlte den Einfluß seines väterlichen Wohlwollens in jeder Zeile. Er sprach zu mir, als ob unsre Stellung zueinander umgekehrt wäre; als ob alle guten Taten von mir herrührten und alle Dankesempfindungen, die sie hervorgerufen, nur in ihm lebten. Er stellte mir vor, wie jung ich sei, während er die Blüte der Jahre überschritten habe –, sagte, er stehe im reifen Alter und ich sei noch ein Kind –; er schreibe an mich als ergrauter Mann und wisse alles das so gut, daß er mich bäte, reiflich mit mir zu Rate zu gehen. Er schrieb, ich würde durch eine solche Ehe nichts gewinnen; und nichts verlieren, wenn ich sie zurückwiese. Kein neues Band könne seine Liebe zu mir vermehren, und er werde meine Handlungsweise billigen, möge mein Entschluß ausfallen so oder so. Er habe sich seit unsrer letzten vertraulichen Besprechung den Schritt nochmals reiflich überlegt und sich entschlossen, ihn zu tun, und wenn auch nur, um mir in einem kleinen Beispiel zu zeigen, daß sich die ganze Welt gern vereinigen würde, um die düstre Prophezeiung meiner Kindheit zunichte zu machen. – Ich könne nicht ahnen, wie glücklich ich ihn machen würde, aber davon wollte er weiter nicht sprechen. Ich solle stets im Auge behalten, daß ich ihm nichts schulde, sondern daß er im Gegenteil mein Schuldner in jeder Hinsicht sei.
    Er hätte oft an unsre Zukunft gedacht, wohl wissend, daß die Zeit kommen werde – leider nur zu bald –, wo Ada mündig sein und uns verlassen werde und unsre gegenwärtige Lebensweise aufhören müsse. Deshalb hätte er sich gewöhnt, über seinen jetzigen Antrag nachzudenken, und deshalb mache er ihn jetzt. Wenn ich fühlte, ich könnte ihm überhaupt jemals das beste Recht, mein Beschützer zu sein, geben, und glaubte, die in Wahrheit geliebte Gefährtin seines noch übrigen Lebens werden und dabei glücklich sein zu können, erhaben über alle kleinen Zufälle und Veränderungen außer den Tod, selbst dann sollte ich mich nicht unauflöslich binden, solange mir der Brief noch so neu sei –, selbst dann müßte ich reichlich Zeit zur Überlegung haben. In diesem oder dem entgegengesetzten Fall wünsche er das alte Verhältnis, den alten ungezwungnen Ton und den Namen, den ich ihm von Anfang an gegeben, beibehalten zu sehen. Was sein munteres Mütterchen Spinnweb als kleine Wirtschafterin beträfe, so würde sie, wie er wisse, immer dieselbe bleiben.
    Das war so der wesentliche Inhalt des Schreibens. Aus jedem Wort sprach ein Gerechtigkeitsgefühl, als wäre er nur ein verantwortlicher Vormund, der mir ganz unparteiisch den Vorschlag eines Freundes mitteilte und selber alle dagegen sprechenden Punkte mir vor Augen stellte.
    Was er mir aber nicht verriet, war, daß er schon dieselbe Absicht hatte, als ich noch hübscher ausgesehen, davon aber abgestanden war, daß er jetzt, wo mein Gesicht verunstaltet war, mich noch ebenso lieben konnte wie in den Tagen meiner Schönheit. Auch daß die Entdeckung der Umstände meiner Geburt keinen nachteiligen Eindruck auf ihn gemacht habe, verschwieg er mir.
    Aber ich wußte es, ich wußte es jetzt gar wohl. Am Schluß seines Briefes kam es über mich, und ich fühlte, daß mir nur ein Weg übrig blieb. Mein Leben seinem Glück zu widmen, war ein armseliger Dank. Und hatte ich mir neulich nachts etwas anderes gewünscht, als etwas zu finden, wie ich ihm danken könnte?!
    Dennoch weinte ich sehr viel, nicht bloß aus der Überfülle meines Herzens heraus, nicht bloß wegen der Neuartigkeit der Aussicht, denn sie war neu und befremdend, obgleich ich keinen andern Inhalt erwartet hatte –, sondern, als ob etwas, für das ich keinen Namen und von dem ich keinen deutlichen Begriff hatte, nun für immer für mich verloren sei. Ich war sehr glücklich, sehr dankbar und hoffnungsfreudig, aber ich mußte heiße Tränen weinen.
    Ich wagte mich vor meinen alten Spiegel. Meine Augen waren rot und geschwollen, und ich sagte: »Esther, Esther, bist du das wirklich?« Ich fürchtete, das Gesicht im Spiegel wolle bei diesem Vorwurf wieder zu weinen anfangen, aber ich hielt meinen Finger in die Höhe, und es bezwang sich.
    »So! Das ist dem gefaßten Aussehen, mit dem du mich tröstetest, als du mir die große Veränderung damals nach der Krankheit zeigtest, ähnlicher«, sagte ich, indem ich mein Haar löste. »Wenn du erst die

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