Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bleakhouse

Bleakhouse

Titel: Bleakhouse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
Vom Netzwerk:
erlebt er nicht noch einmal, vielleicht auch nicht sechs- oder siebenundsechzig. Er hat von Zeit zu Zeit einen Gichtanfall, und sein Gang ist ein wenig steif. Er ist eine vornehme Erscheinung mit seinem grauen Haar und Backenbart, dem feinen Spitzenhemd, der tadellos weißen Weste und dem hochgeschlossenen blauen Frack mit den glänzenden Knöpfen. Er ist sehr förmlich, zu allen Zeiten gegen Mylady ausnehmend höflich und zollt ihren persönlichen Reizen die höchste Anerkennung. Seine Galanterie gegen die Gnädige ist sich seit dem Brautstande unverändert gleichgeblieben und bildet die einzige kleine Stelle Romantik und Poesie in ihm.
    Er hat sie aus Liebe geheiratet. Man flüstert sich sogar zu, daß sie nicht einmal von »Familie« sei, aber Sir Leicester hatte für beide »Familie« genug, und sie besaß Schönheit, Stolz, Ehrgeiz, Arroganz und Verstand genug, um es mit einer ganzen Legion vornehmer Damen aufzunehmen. Reichtum und Rang mit diesen Gaben vereint setzten sie bald an die Spitze, und seit Jahren hat Lady Dedlock den Mittelpunkt der vornehmen Welt gebildet und in der Mode die Führung an sich gerissen.
    Daß Alexander der Große Tränen vergoß, als er keine Welten mehr zu erobern hatte, weiß jedermann oder sollte es wenigstens wissen, denn der Umstand wird häufig genug erwähnt. Als Lady Dedlock ihre Welt eroberte, verriet ihre Temperatur mehr den Gefrier- als den Schmelzpunkt. Eine erschöpfte Gelassenheit, eine müde Ruhe, ein gelangweilter Gleichmut, die sich weder durch Interesse noch durch Befriedigung stören ließen, waren ihre Siegestrophäen. Sie ist durch und durch vornehm. Wenn sie morgen in den Himmel versetzt werden sollte, würde sie fraglos ohne die mindeste Verzückung emporschweben.
    Sie ist immer noch schön, und wenn auch nicht mehr in der Blüte, so doch nicht in ihrem Herbst. Sie hat ein feines Gesicht; der Naturanlage nach sind ihre Züge eher sehr hübsch als schön zu nennen, aber der angelernte Ausdruck der vornehmen Weltdame verleiht ihnen etwas Klassisches. Ihre Figur ist elegant und macht den Eindruck von Schlankheit. Nicht, daß sie wirklich so ist, aber alle ihre Vorzüge sind gut herausgearbeitet, wie Bob Stables hochwohlgeboren wiederholt auf Eid versichert hat. Derselbe Gewährsmann bemerkt, daß sie tadellos aufgezäumt sei, und sagt lobend von ihrem Haar, sie sei die bestgestriegelte Frau im ganzen Gestüt.
    Mit allen ihren Reizen ist Lady Dedlock von ihrem Landsitz in Lincolnshire, Schritt für Schritt von den Fashionabeln der Modezeitung verfolgt, eingetroffen, um einige Tage in ihrer Stadtwohnung zu verweilen, bevor sie nach Paris reist, wo sie einige Wochen zu bleiben gedenkt.
    In ihrer Stadtwohnung stellt sich an diesem trüben Nachmittag ein altmodischer alter Gentleman ein, Attorney und Solizitor beim hohen Kanzleigericht, der die Ehre hat, Rechtsanwalt der Dedlocks zu sein, und viele eiserne Kästen mit diesem Namen darauf in seiner Kanzlei aufzuweisen hat. Durch die Vorhalle die Treppen hinauf, die Korridore entlang und durch die Zimmer, die in der Saison sehr glänzen und außer der Zeit sehr unwirtlich sind – ein Feenland für den Besucher und eine Wüste für den Bewohner –, führt den alten Herrn ein Merkur mit gepudertem Kopf zu der Gnädigen.
    Der alte Herr sieht ein wenig verrostet aus, steht aber in dem Rufe, durch Heiratsverträge und Testamente für den Adel viel Geld erworben zu haben und sehr reich zu sein. Ein undurchdringlicher Nebel von Familiengeheimnissen, als deren stummen Bewahrer man ihn kennt, umgibt ihn. Es gibt adlige Mausoleen, die seit Jahrhunderten in abgelegenen Parkalleen unter uralten Bäumen und wucherndem Farnkraut stehen und vielleicht weniger Familiengeheimnisse bewahren, als in Mr. Tulkinghorns unter Menschen wandelnder Brust verborgen sind.
    Er gehört der alten Schule an, das heißt, der Schule, die niemals jung gewesen ist, und trägt kurze Hosen, die an den Knieen mit Bändern befestigt sind, und Gamaschen oder Strümpfe. Die Eigentümlichkeit seiner schwarzen Kleider und Strümpfe, mögen sie von Seide oder Wolle sein, ist, daß sie nie glänzen. Stumm, verschlossen, ohne Antwort für ein neugieriges Licht, ist sein Anzug wie er selbst. Er unterhält sich nie, wenn man ihn nicht in Berufssachen zu Rate zieht. Man findet ihn zuweilen stumm, aber zwanglos und ganz zu Hause am Eck der Gasttafeln in vornehmen Landschlössern oder nicht weit von Salons sitzen, von denen die Modezeitung so viel zu reden hat.

Weitere Kostenlose Bücher