Ohrenzeugen
Dienstag, 14. April, 8.23 Uhr
Kriminalkommissar Heiko Wüst zündete sich eine Zigarette an. Nicht, dass er noch nie eine Leiche gesehen hätte. Aber hier im Hohenlohischen kamen Morde doch eher selten vor. Meistens rief man nach ihnen, wenn in Kneipen geschlägert wurde und es um irgendwelche Lappalien ging. Oder zu einer Party, bei der die Musik zu laut war. Zu Ladendiebstählen und zu jungen Typen, die mit Ecstasy im P1 erwischt wurden. Eher so was.
Aber das hier, das war schon ein anderes Kaliber.
Die Axt steckte genau im Gesicht des Mannes. Mittendrin. Sie hatte sein Gesicht regelrecht gespalten. Blut hatte die Leiche nahezu unkenntlich gemacht, und der massige Körper lag rücklings im Dreck. Ein metallisch-süßlicher Geruch stieg von dem Toten auf und verpestete die Umgebung.
Schon gar nicht passte ein solcher Mord zum beschaulichen Dorf Tiefenbach im Norden Crailsheims. Tiefenbach war eine Gemeinde mit etwas über tausend Einwohnern. Ein verschworenes Dorf mit einer Kirche, einem Kindergarten und einer Grundschule. Ein Dorf mit vielen Höfen, mit Bauern, die mit dem Bulldog durchs Dorf fuhren und alle grüßten, denen sie begegneten, weil sie eben alle kannten. Jeder kannte jeden in der kleinen Gemeinde, die politisch als Stadtteil Crailsheims gehandelt wurde. Dennoch war Tiefenbach ein eigenständiger Ort. Ein Dorf, das in jeder Hinsicht überschaubar war. Und ein solcher Mord passte ganz einfach nicht hierher.
»Hat sich wohl umgedreht und seinen Mörder noch gesehen«, mutmaßte Lisa Luft, seine Kollegin. Sie sprach laut, weil sie das wütende Gebell übertönen musste, das aus dem Stall tönte. Offenbar hatten die Weidners gleich mehrere Wachhunde.
Heiko bezweifelte Lisas Vermutung. »Ob da noch Zeit zum Gucken war, weiß ich nicht«, gab er zu bedenken.
Er bemühte sich. Er musste sich immer um eine hochdeutsche Aussprache bemühen, wenn er mit ihr redete. Denn sonst konnte es passieren, dass sie erst ihre gezupften Augenbrauen zusammenzog, sodass sich eine ganz entzückende Falte zwischen ihren hellblauen Augen bildete und dann sagte: ›Hab’ ich jetzt nicht verstanden‹. Weil sie ja selber ›aus dem Norden‹ kam, genauer gesagt, aus Nordrhein-Westfalen. Alles, was nördlich vom Saarland lag, war für den Hohenloher Norddeutschland.
Heiko wich einem der Spurensicherer aus, der ihn mit einem vorwurfsvollen Blick taxierte. Zu Mordfällen kam immer der Bus von der Schwäbisch Haller Spurensicherung. Nicht, dass Crailsheim keine Spurensicherung gehabt hätte. Sie hatten eine. Uwe war die Crailsheimer Spurensicherung. Aber die Haller waren dann doch besser ausgerüstet. Moderner und alles. Und nun streunten eben die drei Männchen in ihren weißen Mäntelchen wie Marsmenschen bei der Invasion über den Hof.
Heiko zog an seiner Zigarette, die dabei rot aufglühte, und sah zur Bäuerin hinüber, die seit einer halben Stunde unbeweglich an der Scheunentür lehnte und die Arme vor dem Körper verschränkt hielt. Sie weinte nicht, sie war nicht verzweifelt. Sie war neutral. Aber vielleicht war es auch nur der Schock.
Der Kommissar ging zu ihr und murmelte »Herzliches Beileid«. Sie reagierte nicht. »Mein Name ist Heiko Wüst, Kriminalkommissar.« Er atmete tief durch, dann fragte er: »Haben Sie gestern irgendetwas Ungewöhnliches bemerkt? Etwas, das anders war als sonst?« Erna Weidner schüttelte den Kopf. Graue Strähnen hatten sich unter ihrem blau geblümten Kopftuch gelöst und umrahmten ein Gesicht, das früher einmal sicher schön gewesen war, nun aber von der Gemütlichkeit des Alterns aufgeschwemmt wurde. Feine Falten durchzogen diese Züge und einige davon verwiesen auf Kummer. »Gar nichts hab’ ich gesehen«, meinte sie tonlos. »War jemand auf dem Hof?«, fragte Heiko.
Wieder schüttelte die Bäuerin den Kopf.
»Niemand!«
»Warum war er denn am Hasenstall zu dieser späten Stunde?«, schaltete sich nun Lisa ein, die von hinten unbemerkt dazugekommen war.
»Wenn er besoffen war, ist er immer noch nachts zu da Hoosa, wenn er vom Silvio heimgekommen ist!«
Lisa blinzelte und folgerte aus dem Zusammenhang, dass ›Hoosa‹ ›Hasen‹ heißen musste. Komisches Land mit einer komischen Sprache.
»Dia hater geera ghett! Liawer wia sei eichini Leit!«
Lisa nickte lächelnd, hatte aber kein Wort verstanden.
»Er hatte die Hasen lieber als seine Familie?«, fragte nun Heiko und übersetzte damit gleichzeitig das zuvor Gesagte.
Die Frau winkte ab. »Was weiß ich«, murmelte sie
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