Bleakhouse
herausfühlen, daß sie nicht darnach angetan ist, zärtliche Empfindungen in einer jugendlichen Brust zu erwecken; sie wirkt beruhigend auf Mrs. Snagsby, die immer ungestraft Fehler an ihr finden darf; sie ist eine Beruhigung für Mr. Snagsby, der es für eine Tat christlicher Liebe ansieht, sie in Dienst zu behalten.
Das Haus ist in Gusters Augen der Gipfel des Überflusses und Glanzes. Das kleine Staatszimmer, eine Treppe hoch, das sozusagen stets sein Haar in Papilloten gewickelt und eine Schmutzschürze vorhat, hält sie für das schönste Zimmer der Christenheit. Die Aussicht, die man aus seinen Fenstern auf der einen Seite nach Cook's Court, auf der andern in den Hof des Polizeiamtes Coavins genießt – allerdings muß man den Hals schmerzhaft biegen, um auch Cursitor Street sehen zu können –, bedeutet für sie eine Aussicht von unvergleichlicher Schönheit. Die vielen Porträts in Öl, auf denen Mr. Snagsby Mrs. Snagsby und Mrs. Snagsby Mr. Snagsby ansieht, sind in ihren Augen Meisterwerke von Raffael oder Tizian. Guster wird also für ihre vielen Entbehrungen einigermaßen entschädigt.
Mr. Snagsby überläßt alles, was nicht in die praktischen Mysterien des Geschäfts gehört, Mrs. Snagsby. Sie hat die Kasse, streitet sich mit dem Steuerviertler herum, bestimmt Zeit und Ort des sonntäglichen Gottesdienstes, führt Aufsicht über Mr. Snagsbys Zerstreuungen und duldet keinen Einwand hinsichtlich dessen, was sie mittags auf den Tisch zu setzen für gut findet. Dadurch ist sie für die benachbarten Frauen, die halbe Chancery-Lane auf beiden Seiten und selbst bis Holborn hinaus ein hoher Vergleichsmaßstab geworden; alle Ehemänner werden bei häuslichen Zwistigkeiten auf Mrs. Snagsbys Stellung ihrem Gatten gegenüber und auf dessen Benehmen in ähnlichen Fällen hingewiesen.
Gerüchte, die immer wie Fledermäuse in Cook's Court zu jedermanns Fenster ein und aus flattern, behaupten, Mrs. Snagsby sei eifersüchtig und stecke überall die Nase hinein. Und das peinige Mr. Snagsby so, daß er es manchmal zu Hause gar nicht mehr aushalten könne. Er würde es sich nicht gefallen lassen, sagt man, wenn er nur soviel Mut wie eine Maus hätte. Es ist sogar bemerkt worden, daß die Frauen, die ihn so gern ihren widerspenstigen Ehemännern als leuchtendes Beispiel hinstellen, in Wirklichkeit auf ihn herabblicken, und insbesondere eine gewisse Dame, deren Eheherr im dringenden Verdacht steht, seinen Regenschirm an ihr als Besserungsinstrument versucht zu haben.
Aber diese vagen Gerüchte haben vielleicht darin ihren Grund, daß Mr. Snagsby in seiner Art ein etwas versonnener und poetischer Mann ist. Er geht gern im Sommer in Staple-Inn spazieren und freut sich über das ländliche Aussehen der Spatzen und Blätter. Den Sonntagnachmittag verlebt er gern in Rolls Yard und äußert, wenn er guter Laune ist, daß es einmal alte Zeiten gab und er wetten möge, man würde heute noch den einen oder andern steinernen Sarg unter der Kapelle finden, wenn man nur danach graben wollte. Auch labt er seine Phantasie durch die Erinnerung an die vielen seligen Kanzler und Vizekanzler und Archivare.
Es wird ihm so ländlich zumute, wenn er den beiden »Stiften« erzählt, er habe gehört, vorzeiten einmal sei wirklich ein Bach, so klar wie Kristall, Holborn hinabgelaufen, als der Steig noch ein wirklicher Steg, der geradewegs auf die Wiesen führte, war; dabei wird ihm so ländlich zumute, daß er sich gar nicht ins Freie sehnt.
Der Tag neigt sich seinem Ende zu, das Gas wird angezündet, aber noch nicht ganz aufgedreht, denn es ist noch nicht völlig dunkel. Mr. Snagsby blickt von seiner Ladentür zu den Wolken auf und sieht eine verspätete Krähe westwärts über das bleifarbene Stück Himmel, das zu Cook's Court gehört, segeln. Die Krähe fliegt quer über Chancery-Lane und Lincoln's-Inn-Garden nach Lincoln's-Inn-Fields.
Hier, in einem großen Haus, einem frühern Palais, wohnt Mr. Tulkinghorn. Die Zimmer sind jetzt als Kanzleien vermietet, und in diesen zusammengeschrumpften Resten vergangener Größe nisten jetzt Advokaten wie Maden in Nüssen. Aber seine geräumigen Treppen, Korridore und Vorzimmer sind immer noch vorhanden und selbst seine gemalten Plafonds, wo eine Allegorie im römischen Helm und himmlischen Linnen sich unter Balustraden und Pfeilern, Blumen, Wolken und fettbeinigen Kindern breit macht, daß einem der Kopf weh tut – was immer mehr oder weniger der Zweck der Allegorie zu sein scheint.
Hier
Weitere Kostenlose Bücher