Bleib für immer!: Roman (German Edition)
zu. Eine Sekunde lang sieht es so aus, als wollte sie sie umarmen. Aber als sie nur noch auf Armeslänge vor Charlotte steht, boxt sie sie mitten ins Gesicht.
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I CH’ATTE JA KEINE AHNUNG, dass englische’ochseiten so aufregend sind«, bemerkt Federico, als wir in der Aschenputtelkutsche dahinzockeln.
»Ach, halt den Mund«, sagt Valentina, während Georgia ihr tröstend die Hand auf den Arm legt.
Die Federung der Kutsche würde eher zu einem Traktoranhänger passen; und wer auch immer diese Pferde ausgesucht hat, kann sich auf die Fahne schreiben, die womöglich blähsüchtigsten Tiere in ganz England aufgetan zu haben. Die gute Nachricht ist, dass Valentina sich ein Quäntchen beruhigt hat, obwohl wir in Windrichtung des grauenhaftesten Gestanks jenseits des Elefantengeheges im Zoo von Chester sitzen.
Es ist ihr sogar gelungen, das Hyperventilieren einzustellen, obwohl sie jetzt eine Brautjungfer weniger hat, da sie Charlotte in die Notaufnahme entlassen musste. Und obwohl drei der verbliebenen Brautjungfern schwache, aber unverkennbare Blut- und Rotzspuren – Überbleibsel von Graces Boxhieb – auf dem Kleid haben.
Bei mir ist es am schlimmsten. Direkt vorne auf meinem Rock prangt ein großer Blutfleck, der durch hektisches Schrubben nur noch schlimmer gemacht wurde. Aber wenn ich meinen Strauß in einem ganz bestimmten Winkel halte, dann kann ich ihn beinahe verdecken. Und Drusilla von High Life! hat Valentina versichert, dass sie den Rest vor dem Abdruck der Bilder wegretuschieren können.
»Grace«, frage ich, während wir über einen Straßenabschnitt holpern, der mehr Schlaglöcher aufweist als ein Feldweg in einem Drittweltland. »Können wir darüber sprechen?«
»Ja, bitte«, bekräftigt Valentina. »Vertragt euch wieder, du meine Güte. Oder lächelt wenigstens, wie sich das gehört.«
»Ich bin zu wütend und zu verletzt, um darüber zu sprechen«, sagt Grace den Tränen nah. »Jetzt ist kein guter Zeitpunkt.«
»Nein«, meint Valentina, »da hast du wahrscheinlich recht. Für heute genug Dramen, vielen Dank. Aber lächelt, ja? Bitte.«
Vor einer Ampel werden wir langsamer, doch noch bevor wir ganz zum Stehen kommen, gibt die Kutsche ein merkwürdiges Geräusch von sich. Ein sehr merkwürdiges Geräusch. Ein knackendes Geräusch.
Valentinas Augen weiten sich, und wir alle blicken uns beunruhigt an. Dann wird das Knacken plötzlich lauter, und eine Ecke der Kutsche sackt nach unten. Brautjungfern und Blumensträuße und Satinschuhe und Schleier und Diademe werden in alle Himmelsrichtungen katapultiert.
»Verdammte Scheiße …«, schreit Valentina, kurzzeitig ihre Rolle als sittsame Braut vergessend, als sie sich den Kopf am Fensterrahmen stößt.
»Was sum Teufel ist denn lossss?«, brüllt Federico.
Wir klettern aus der Kutsche, und der Anblick ist nicht gerade verheißungsvoll.
»Das verfluchte bescheuerte verfluchte Rad ist gebrochen«, tobt Valentina, offenbar an den Fahrer gerichtet.
Er kratzt sich am Kopf und trägt eine außerordentlich ruhige Miene zur Schau, was unter den gegebenen Umständen völlig unangemessen ist.
»Ach du je«, sagt er.
»Was wollen Sie denn jetzt unternehmen?«, fragt Valentina ihn hysterisch.
Er zuckt mit den Achseln. »Weiß auch nicht so genau. Mit so einem Gefährt kann man ja nicht einfach die Pannenhilfe rufen.«
Valentina fächelt sich Luft zu.
»Und wie, schlagen Sie vor, soll ich jetzt zur Kirche kommen?«, knurrt sie.
Wieder zuckt er die Achseln. »Sie könnten ja per Anhalter fahren.«
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Z UERST DACHTEN WIR, das soll ein Scherz sein. Aber da jeder, den wir kennen, bereits in der Kirche sitzt und das Handy ausgeschaltet hat und kein Taxi weit und breit zu sehen ist, wird Trampen auf einmal zu unserer einzigen Option.
Also teilen wir uns in zwei Gruppen auf. Meine Gruppe quetscht sich in den Laderaum eines Fischhändlers, der gerade mit seinem Transporter auf dem Rückweg vom Großhandel ist. Statt nach Vera Wang duften wir nun nach Eau de Kabeljau .
Doch für die andere Gruppe – Braut und ›Brautvater‹ – treiben wir ein Vehikel auf, das, wie wir uns alle einig sind, beinahe als Hochzeitslimousine durchgehen könnte. Das heißt, wenn der High Life! -Fotograf und der Kameramann sie im richtigen Winkel erwischen.
»Möglicherweise müssen Sie daran noch etwas schneiden«, erkläre ich dem Kameramann für das Hochzeitsvideo, während wir vor der Kirche auf die beiden warten.
»Warum denn?«, fragt er. »Mit was
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