Bleib uns gesund und behalt uns lieb 01: Briefe und Feldpostbriefe einer deutschen Familie 1928 bis 1946
nun muß ich mal den Volksbrockhaus rausholen um mal ... zu sehen, ob Deine Forsitia richtig ist. Ich finde es nicht, müssen wir eben die Frage offen lassen. Mutter geht es soweit wieder besser, ich nehme an, daß sie was gegessen hat. Mit Heidi gehe ich erst frühestens Donnerstag zu Frau Dr. Weise. Schreibe Dir dann schon gleich, was sie sagt. Bei Gretel hat sich noch nichts geändert. Sie hat mir einen ziemlichen trostlosen Brief geschrieben, und diesmal kann ich sie wirklich voll und ganz verstehen. Den Grund weiß ich zwar noch nicht, werde es aber schon noch erfahren. Sie schreibt, daß es ihr unmöglich ist, weiter in Saaz zu bleiben, und ich habe ihr angeboten, wieder nach hier zu kommen. Ich glaube ja kaum, daß sie es tut. Ich habe jetzt vom Gericht eine Vorladung als Zeuge in Sachen Kolbe bekommen, am 19.4. findet die statt. Na, mich können sie fragen, was sie wollen, ich kann nur sagen, was ich weiß. Es wäre wirklich trostlos, wenn Du nur mit Geld und Zigaretten zu retten wärst. Ersteres kann ich Dir erst im nächsten Brief schicken, denn mein Geld ist noch nicht da. Mir stehen die Haare zu Berge, wenn ich an meine finanzielle Lage denke. Nicht nur daß ich keinen Pfennig im Portchen habe, sondern außerdem noch 70 M Schulden. Mal sehen, wie ich wieder zurecht komme. Aber sobald das Geld da ist, bekommst Du Deine 10 M, Zigaretten schicke ich Dir heute mit weg. Aber auch da muß ich Dir sagen, daß es äußerst knapp ist. Wir bekommen ja nur noch 3 Stück pro Tag. Ich selbst wage bald nicht mehr, mir ein Stäbchen abends anzubrennen, obgleich es das einzige ist, was ich mir am Abend leisten kann. Wenn Du zurückkommst, spitze Dich nicht auf einen großen Vorrat, denn der ist nicht da. Daß ich Dir immer alles gerne gebe, was ich da habe, weißt Du, und brauche ich Dir nicht zu versichern. Am Donnerstag Morgen habe ich mich endlich mal aufgerafft um in die Stadt zu kommen mir ein Dirndl zu kaufen, und wie ich drin bin, haben am Donnerstag alle Geschäfte früh geschlossen. Ich habe nicht schlecht geguckt. Mutter hat mich am Nachmittag gleich noch mal reingejagt, und habe ich nun bei Sportseidler ein hübsches erstanden. Dasselbe wie Erika auch hat. Weiße Bluse, grün-rot-schwarz-karierter Faltenträgerrock und rote Schürze mit weißen Pünktchen drin. Wirklich hübsch, hängt nun im Schrank und wartet aufs Ausführen. Sonnabend waren die Eltern im Kino und ich habe mich mal über meine Strümpfe gemacht bis ¾ 11 Uhr. Da kam Alarm, und Sirene und Schießerei war gleich eins. Bei uns haben sie nur mal was fallenlassen, und zwar ist in Gohlis eine Schule und zwei Wohnhäuser vollständig ausgebrannt. Das hat schon gebrannt, ehe überhaupt der Alarm kam. Um 12 Uhr durften wir dann in unsere Betten gehen. Am Sonntag war Elli da und war diesmal ganz manierlich. Papa hatte mich gebeten, mit in den Garten zu gehen, und so bin ich gleich zu Mittag fort. Haben nun alles glücklich in der Erde, und können wir nun einen schönen warmen Regen gebrauchen. Eigentlich wollte ich Dir am Abend schreiben, aber ich hatte so rasende Kopfschmerzen und fühlte mich so matt, daß ich in mein Bett gekrochen bin. Heute Nachmittag war ich in der Nürnberger und habe mit Mutti Waschhaus eingeräumt und eingeweicht. Morgen und Mittwoch kommen für mich wieder ein paar schwere Tage, denn ich helfe drin bei Mutti. Am Mittwoch kommt Tante Seidel. Wenn ich es dann schaffe, will ich am Donnerstag mit Heidi zu Frau Dr. Weise gehen. Beim Spazierenfahren räumt Heidi jetzt immer ihren Wagen aus. Sie weiß ganz genau, daß sie das nicht darf, denn sie guckt dich dabei ganz verschmitzt und frech an. Mama und Papa, und wauwau und babab, steig steig und ei ei babelt sie jetzt dauernd. Heute bin ich wieder allein, Frau Kühn ist ins Theater und die Eltern sind ins Varieté Dreilinden. Ich will nun aufhören und in die Falle gehen, damit ich morgen früh frisch bin. Gestern und heute habe ich bei Helenchen prima Bohne bekommen. Hast Du Appetit? Halte nun den Daumen, daß wir eine ruhige Nacht haben, denn draußen summt es schon wieder verdächtig. Bleib gesund, kleiner Mann, verzage nicht, ‘auf jeden Dezember folgt wieder ein Mai’ (wenn ich nur schon mein Radio wieder hätte), behalt uns lieb, und nimm nun für heute 1000 liebe Grüße und Süße von
Deiner Lenifrau und Heidikind.
Hast Du Grete schon geschrieben? Sie wird sich bestimmt darüber freuen. Max ist wieder an der Front und hat jetzt Deinen Brief vom Dezember bekommen. Sein
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