Bleiernes Schweigen
erfahre ich, dass ein neuer Geldtransfer von zwanzig Milliarden bevorsteht, von Südamerika nach Nordamerika und dann über die Schweiz nach Italien.«
»Und der Empfänger ist abermals Marsigli.«
»Oder die Person, der er das Geld an jenem Abend bringen sollte, Dottore. Fast ein Jahr lang habe ich nichts mehr gehört. Bis der Mafiakrieg entbrennt, die Corleonesi bringen Viola um, und am Ende wird die Frage laut, wo das Geld abgeblieben ist und wie er es investiert hat, das weiß nämlich niemand. Manch einer will es sogar zurück.«
»Und Sie …«
»Bestimmt nicht, Dottore, obwohl sie mich gefragt haben. Was hatte ich damit zu schaffen? Aber es wurde natürlich gemunkelt. Und dann ist jemand nach Mailand gefahren, um der Sache auf den Zahn zu fühlen.«
»Jemand, einer … Herrgott, Baldacci!«
»Die Ferraras hatten todsicher Geld drin. Und die sind nach Mailand gefahren, um Klarheit zu schaffen. Marsigli lebt noch, die Ferraras haben aufgehört zu suchen und machen Geschäfte mit einem Haufen Leute, also werden sie wohl fündig geworden sein.«
Daniele giert nach einer Zigarette. Sein Notizbuch ist voller Daten, Namen, Zusammenhänge. Er redet mit sich selbst, das Zimmer verschwindet, Baldaccis Stimme ist ein Echo, das man nicht mehr los wird.
»Marsigli fängt bei den Capobiancos an und macht bei Viola und den Corleonesi Karriere. Nicht schlecht«, murmelt er.
Baldacci lehnt sich schweigend zurück, während Daniele fortfährt.
»Bleibt die Frage, wer der Empfänger des Geldes war.«
»Das brauche ich Ihnen nicht zu sagen, Dottore.«
»Und ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass ich Ihnen nicht glaube. Und Sie können sich denken warum.«
»Das überrascht mich natürlich nicht. Andererseits hat Marsigli mit vielen Leuten Geschäfte gemacht und ich kann Ihnen keine Beweise liefern. Außer vielleicht einem.«
Daniele schluckt. Er hat Halsschmerzen. Ganz plötzlich, ohne ersichtlichen Grund.
»Suchen Sie einen Mann namens Antonio Domenici. Er lebte bis 1976 in Mailand. Es wäre zwecklos, ihn jetzt aufspüren zu wollen, Sie würden ihn nicht finden. Es reicht, wenn Sie ein Foto von ihm aus jener Zeit auftreiben.«
Daniele schließt die Augen. Sein Atem scheint in der Luftröhre steckenzubleiben. Du wolltest es wissen, denkt er. Und jetzt kannst du dich nicht mehr ducken.
»Wir haben beide einen Namen im Kopf, Dottore.«
Er öffnet die Augen. Baldacci steht vor ihm, parfümiert, elegant, selbstsicher, kein bisschen müde. Er könnte noch ein Jahr so weiterreden.
Daniele klappt das Notizbuch zu und steht auf.
»Sie haben die ganze Zeit nach der Perseo gesucht. Sagen Sie mir jetzt nicht, dass Sie Angst haben.«
Ein Lächeln huscht über Danieles Lippen. Er antwortet sofort, mit leiser Stimme.
»Nein. Und genau das ist das Problem.«
Baldacci legt ihm eine Hand auf die Schulter. Antonio Baldacci. The Hand. Sie sehen sich an, zwei Feinde, die allzu lange gegeneinander gekämpft haben und die noch weiter kämpfen würden, hätte die Welt nicht beschlossen, sich dermaßen dumm zu stellen.
Er nimmt die Hand weg und begleitet ihn zur Tür. Kurz vor dem Garten bleibt er stehen und blickt in den Abend, der alles schluckt.
»Niemand wird Ihnen den Namen von Marsiglis Partner verraten, Dottore«, sagt er mit leiser Stimme. »Niemand wird Ihnen sagen, dass sich hinter der sauberen Fassade dieses Mannes noch eine andere versteckt. Niemand wird den Mut haben zu sagen, dass all das für gute Zwecke gespendete Geld in den Krankenhäusern und bei den Krebshilfestiftungen auch Cosa-Nostra-Geld ist. Doch jeder wird Ihnen sagen, dass Marsigli jemanden deckt. Dass sein Anteil des Unternehmens der Anteil der Cosa Nostra ist, dessen Repräsentant und Marionette er ist.«
»Das glaube ich auch, Baldacci.«
Der Mafioso nickt. Eine kaum merkliche Geste. Er kommt ganz nah an Daniele heran. Auf Kussnähe. Sein Atem riecht nach Minze und mischt sich mit dem Geruch seines Aftershaves.
»Denken Sie an die Finger, Dottore. An die Marionetten, die Fäden und dann wieder an die Finger. Und stellen Sie sich eine Frage. All dieses Geld. In bar. Kofferweise Scheine. Millionen, Milliarden. Und selbst, wenn es so war, wie Sie sagen, hätten Sie sich nicht gefragt, woher es stammt?«
Ich habe nie etwas für Tagebücher übriggehabt. Aber jetzt sitze ich hier und der eigentliche Grund ist, dass ich auf dieses Papier schreiben kann, was ich will, niemand wird es je lesen. Und es ist ein Versuch, mich weniger einsam zu fühlen.
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