Bleiernes Schweigen
Unternehmen, das mit dem Busenfreund eines der mächtigsten Männer Italiens verbandelt ist, einer Bank gehörte, die das Geld aus dem internationalen Drogengeschäft verwaltet. Also ist Marsigli auch ein Strohmann?«
»Gute Frage, die habe ich mir auch gestellt. Mein Freund glaubte, der Typ sei ein Schisser, der nichts zu melden hat. Ein Angestellter. Einen Pagen pflegte er ihn zu nennen. Er wurde nie müde zu sagen, er habe den Süden verlassen, um in Mailand auf die Mafia zu stoßen, einem mit Schweizer Geldern finanzierten norditalienischen Unternehmen sei Dank.«
Er lacht herzlich. Genauso hat er wohl auch während jenes Abendessens gelacht, um die Gespenster zu vertreiben.
»Ein paar Monate nach dem Verkauf bin ich auf die Baustelle gegangen und habe mich ein wenig umgesehen. Marsigli war da, um die Arbeiten zu kontrollieren, er war piekfein angezogen, mit nagelneuem Mantel, eine Zigarette im Mund.«
»Der Rechtsvertreter.«
Ferrarini nickt.
»Der Rechtsvertreter des Cosa-Nostra-Geldes.«
»Hübsche Geschichte.«
»Ich dachte mir, dass sie Ihnen gefallen würde.«
»Doch zwei Dinge fehlen.«
»Ich höre.«
»Erstens, was ist aus der Baustelle geworden. Was haben sie dort gebaut.«
»Sie sind nicht aus Mailand, stimmt’s?«
Die Frage überrascht mich.
»Nein, aber ich habe früher mal dort gelebt.«
»Die Siedlung der Träume.«
Einen Moment lang glaube ich, er will mich auf den Arm nehmen. Die Siedlung der Träume war eine der ersten geschlossenen Wohnanlagen Italiens. Sie wurde vor den Toren Mailands gebaut, und es heißt, man hätte dafür ganze Gleisabschnitte verlegt, die zum Mailänder Hauptbahnhof führten.
»Kennen Sie sie?«
Ich grinse.
»Ich habe dort gewohnt.«
»Sehen Sie?«
»Doch sie gehörte nicht der Mercurio.«
»Natürlich nicht, die hat ’73 dichtgemacht. Aber vorher hat sie alles an ein anderes Unternehmen verkauft, ich nehme an, dasselbe, mit dem Sie dann Ihren Mietvertrag abgeschlossen haben. Wir sprechen von Ende der achziger Jahre, richtig?«
»Ganz genau. Es hieß Nazionale.«
»Nazionale. Das wusste ich nicht mehr. Das war die zweite Frage, richtig? Was aus der Mercurio geworden ist.« Er sieht auf die Uhr. »Ich begleite Sie.«
Er wartet, bis ich meine Fahrkarte gekauft habe, und folgt mir auf den Bahnsteig.
»Ich bin diesen Trubel nicht gewöhnt«, sagt er. »Die Stadt ist mir ein Graus.«
Er spricht zu sich selbst, übertönt vom Lärm der plärrenden Lautsprecher, vorbeihastenden Reisenden und dröhnenden Züge.
Als mein Zug einfährt, hält er mir den Leinenbeutel hin, den er von zu Hause mitgenommen hat. Zwei Spiralblöcke sind darin, wie man sie ganz früher, zu meiner Studienzeit, benutzte. Ich sehe ihn verständnislos an.
»Das ist die Kopie der Unterlagen, die ich aus der BCM mitgenommen habe. Damit haben Sie jetzt alles, was Sie brauchen.«
Ich bin sprachlos. Mehr als eine höfliche Floskel bringe ich nicht über die Lippen.
»Ich danke Ihnen.«
Er schüttelt den Kopf.
»Das sollten Sie nicht. Ich tue Ihnen keinen Gefallen damit.«
Er drückt mir die Hand. Der Zug hält. Es ist fast dunkel.
»Sie haben mir nicht die Frage gestellt, die ich erwartet hatte.«
»Welche?«
»Wieso ich es tue.«
Ich beschließe, ihm die Wahrheit zu sagen.
»Jeder hat seine eigenen Gründe. Sie, Di Donna. Persön -liche oder sehr noble. Anfangs habe ich mich das bei den Menschen, die ich traf, sehr oft gefragt. Aber inzwischen ist es mir völlig schnuppe. Am Ende des Spiels zählt nur noch mein Einsatz.«
»Und der wäre?«
»Mein Leben. Ist Ihnen das hoch genug?«
»Natürlich kenne ich Antonio Marsigli. Ich habe mich schon gefragt, wann wir über ihn reden würden.«
Antonio Baldacci hat Hemd und Hose gewechselt. Sein Haar ist feucht, er riecht nach Duschgel. Er trägt ein weißes Hemd und Jeans, alles Markenware. Auch die Schuhe sind andere, keine Lackschuhe mehr, sondern eine Art moderne Clark’s. Das Hemd ist aufgeknöpft, darunter blitzt ein goldenes Kruzifix hervor. Dezent, antik und offenbar sehr wertvoll.
Daniele hat die viertelstündige Pause draußen mit Andrea zugebracht. Sie haben zwei Zigaretten geraucht, und Daniele hat versucht, Baldaccis Erzählflut zu resümieren.
»Es lässt sich so gut wie nichts beweisen, aber ich würde wetten, er erzählt keinen Scheiß.«
Andrea stand schweigend da, die Zigarette zwischen den Lippen, den Blick auf die Straße gerichtet, die sich in der Ferne durch die Landschaft zog.
»Wenn er uns
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