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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferruccio Pinotti , Patrick Fogli
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Laienbruderschaft. Freunde von Freunden, erklärte er mir. Auf unserem Spaziergang durch die Stadt erläuterte er die seltsame Vetternwirtschaft, auf der die Macht an solchen Orten fußt. Und wie die Kirche selbst stets dem gedient hat, der es ihr erlaubte, ihren Geschäften nachzugehen und ihr Vermögen wachsen zu lassen. Zum Lobpreis Gottes, meinte er. Der Satz ließ mich schaudern.
    M. scheint frei von Gefühlen zu sein. Selbst heute, nach all den Jahren. Und heute wie damals ist mein Glaube davon erschüttert. Mit einem klaren Unterschied.
    Damals, ehe die von meinem Vater erschaffene Welt unter seinen Fehlern begraben wurde, versuchte ich für das Dilemma, das sich mir darbot, eine Lösung zu finden. Staatsräson und göttliche Vernunft. Die Welt, die M. schilderte und die ihm wiederum von jemand anders geschildert worden war, verquickte Sünde und Askese, Gebet und Lust, zynischen Realismus und Nächstenliebe. Geld, Macht, Religion.
    Damals wusste ich noch nicht, dass eine Unterscheidung unmöglich ist. Die Elemente, aus denen die Welt besteht, sind ein untrennbares Ganzes.
    Heute weiß ich, dass der menschliche Seinszustand die Sünde ist. Und genau wie M. oder die Mitglieder der Kirche, zu der ich gehöre, bin ich nur ein Mensch.
     
    »Darf ich mich setzen?«
    Andrea sieht von der Zeitung auf.
    Die Stimme gehört einem Mann. Um die sechzig, helle Hosen, blaues Hemd unter der ledernen Motorradjacke. Brille mit dunklem Rand, glattrasiertes Gesicht. Sein selbstsicherer Tonfall verrät, dass er es gewohnt ist, mit Fremden in Kontakt zu treten.
    Andrea zeigt auf den freien Stuhl. Der Mann sieht sich um.
    Auf der Veranda mit Blick auf den Platz ist außer diesem noch ein anderer Tisch besetzt, an dem ein junges Pärchen Händchen hält und sich tief in die Augen schaut. Womöglich Touristen.
    Der Mann ruft einen Kellner herbei, bestellt einen Orangensaft, legt einen Stapel Zeitungen auf den Tisch und setzt sich. Andrea steckt eine Hand in die Tasche, holt den MP3-Player hervor und legt ihn auf den Tisch.
    »Wie haben Sie mich gefunden?«
    Andrea übergeht die Frage und deutet mit dem Kinn auf den Player.
    »Zuerst das. Das ist die einzige Spur.«
    Der Mann bleibt ungerührt. Er hört zu. Schließlich hat er zwei Fragen.
    »Wie haben Sie mich gefunden? Woher haben Sie dieses Band?« Abermals erhält er keine Antwort.
    »Erzählen Sie mir von der Falange Armata.«
    »Seien Sie nicht blöd.«
    »Sie haben die Wahl. Entweder führen wir ein nettes kleines Gespräch unter Freunden, oder dieses Band landet morgen bei der Presse oder bei der Staatsanwaltschaft.«
    »Und Sie glauben, das würde irgendjemanden kratzen?«
    »Vielleicht nicht. Aber möchten Sie dieses Risiko eingehen?«
    Der Mann sieht Andrea an. Er will etwas sagen, aber der Kellner unterbricht ihn.
    Er zahlt, nimmt einen Schluck von seinem Orangensaft und tupft sich die Lippen mit einer Papierserviette ab.
    »Wer garantiert mir, dass Sie Ihr Versprechen halten?«
    »Niemand. Andererseits haben Sie ja gerade gesagt, dass die Geschichte keinen mehr kratzt.«
    Der Mann poliert seine Brille mit einem Taschentuch.
    »Was wollen Sie wissen?«
    »Die Falange Armata.«
    Er hält inne, das Brillenglas zwischen den Fingern.
    »Damit hatte ich nichts zu tun, ist das klar?«
    »Das glaube ich. Aber die Stimme am Telefon ist Ihre.«
    »Der Anruf nach der Bombe von Florenz«, flüstert er. »Das war ein Job, sonst nichts.«
    Andrea zwingt sich zu einem Lächeln.
    »Sich zu einer Bombe zu bekennen, die ein vierzig Tage altes Baby umgebracht hat?«
    Der Mann steckt das Taschentuch weg, setzt die Brille auf und sieht Andrea direkt in die Augen. Dann sagt er ein einziges Wort.
    »Exakt.«
    »Glauben Sie nicht, das würde reichen.«
    Er trinkt einen Schluck und schiebt das Glas weg.
    »Ein Job, ja. Es gab präzise Anweisungen, seit einer Weile schon.«
    »Welche?«
    Der Mann schüttelt den Kopf.
    »Wären Sie in jenen Jahren schon dabei gewesen, wüssten Sie, was ich meine.«
    »Wer sagt Ihnen, dass ich es heute bin?«
    »Sie sind weder Journalist noch Bulle. Sie besitzen eine Aufnahme, die Sie nicht haben dürften, und haben sich meine private Telefonnummer beschaffen können. Halten Sie mich nicht für blöd.«
    »Weiter. Die Anweisungen.«
    »Sich mit diesem Namen zu bestimmten Vorfällen bekennen. Falange Armata. Ich weiß nicht, wer drauf gekommen ist, aber ich weiß, dass es getan werden musste.«
    »Und Sie haben sich niemals Fragen gestellt?«
    Der Mann lacht.
    »Ich

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