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0485 - Whisper - der Staubgeist

0485 - Whisper - der Staubgeist

Titel: 0485 - Whisper - der Staubgeist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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Der Himmel hatte eine ungewöhnliche Farbe angenommen. Im Norden blinkte noch das frühlingshafte Blau, im Süden aber lag eine dicke, gewaltige Wand. Angegraut wie die Haare eines Greises, doch dazwischen, in langen Streifen oder Spiralen ein sattes, gleichzeitig auch schmutzig wirkendes Schwefelgelb.
    Über den Bergen tat sich etwas. Die Wand war in Bewegung geraten. Sie dreht sich und schob sich gleichzeitig auf die kleine Stadt zu.
    Noch immer waren die Tiere von Alcoste unruhig, und diese Unruhe übertrug sich vereinzelt auch auf die Bewohner. Es waren die Alten, die weise gewordenen Männer und Frauen, die so etwas wie ein bedrückendes Mißtrauen empfanden.
    Wer in Alcoste geboren war, der starb auch hier. In den Bergen wurde man alt, und für die Alten hatten die Jüngeren Plätze geschaffen. Sie hockten an den Fenstern, schnupperten nach draußen, schauten, wer kam und ging, und hatten plötzlich das Gefühl, von Eishänden berührt worden zu sein, die über ihren Rücken strichen.
    Auf dem Marktplatz, wo eine mächtige Eiche das erste Grün des Frühlings trug und die weißgestrichene Bank um den dicken Baumstamm lief, erhoben sich die Männer.
    Sie saßen immer an der gleichen Stelle, wenn es das Wetter zuließ.
    Sie schauten sich an, nickten sich zu und drehten sich wie auf Kommando um, dem Süden zu.
    »Von dort kommt es her!« flüsterte der alte Remi. Er war schon fast Neunzig, aber noch immer in Form. Zur Bestätigung seiner Worte hob er den alten Knotenstock und deutete schräg gegen den Himmel.
    »Was kommt von dort?« wurde er von einem gefragt, der zwanzig Jahre jünger war.
    »Das Unheil.«
    »Wie kannst du das behaupten?«
    Remi lachte krächzend und beschrieb mit der Stockspitze einen Kreisbogen. »Ich weiß es eben, und die Tiere wissen es auch. Wenn jemand wie ich dem Tod näher ist als dem Leben, dann ist er etwas Besonderes. Er hat die Gabe bekommen, das zu sehen, was andere nicht wahrnehmen können. Versteht ihr das?«
    »Wir versuchen es.«
    Remi nickte. »Ich weiß, daß dieser Ort untergehen wird. Noch heute wird es ihn nicht mehr geben.«
    »Und uns? Was ist mit uns?« fragte jemand aus den Reihen.
    Remi ließ sich mit der Antwort Zeit. »Uns, meine Freunde, wird es ebenfalls nicht mehr geben. Wir alle haben nicht viel Zeit. Wer möchte, der soll seine Gebete sprechen.«
    »Das sagst du nur«, meinte Mistouche, ein alter Kommunist, der an seiner Jacke stets eine rote Fahne über der Plakette mit dem Bild des großen Lenin trug.
    »Ich weiß, daß du nicht glaubst«, erwiderte Remi. »Aber hier wird bald Heulen und Zähneknirschen herrschen, das kann ich dir versprechen.«
    »Du redest, als würde der Weltuntergang bevorstehen.«
    »Es ist der Weltuntergang.«
    »Nein!« rief ein anderer. »Dann hätten wir die Zeichen gesehen, die in der Offenbarung des Johannes beschrieben worden sind. So etwas kannst du nicht sagen, Remi.«
    »Für uns ist es der Weltuntergang!« Remi schlug hart mit der Spitze seines Stocks auf. »Für uns, verstehst du? Es wird uns bald nicht mehr geben. Das Böse kommt.«
    »Und was sollen wir tun?«
    Der alte Remi schaute zum Himmel. Er zog ein bedenkliches Gesicht und hob die Schultern. »Ja, was sollen wir tun? Für eine Flucht ist es wohl schon zu spät.«
    »Davon würdest du auch keinen hier im Ort überzeugen können!« rief Mistouche.
    »Wenn es aber um Leib und Leben geht.«
    »Warum sollte es?«
    »Schaut doch zum Himmel. Blickt euch um. Im Süden hat er sich gezeigt. Es glänzte dort schwefelgelb. Ja, das ist der Schwefel aus der Hölle, sage ich euch. Der Teufel hat sein Maul geöffnet und wird alles hinwegfegen. Er kommt nicht selbst, nein, aber er wird jemand schicken, der uns vernichtet.«
    »Wer soll das denn sein?« fragte Mistouche.
    Remi winkte ab. »Ein gefährlicher Gegner, ein Mächtiger, ein Monstrum, das tötet.«
    Jemand fuhr laut hupend auf den Marktplatz. Auf einem Motorroller saß Janine, ein junges hübsches Mädchen. Dunkelhaarig, von der Frühlingssonne gebräunt und die Urenkelin des alten Remi.
    »Hallo, mein lieber Urgroßvater, möchtest du mit? Komm, ich nehme dich auf den hinteren Sitz. Dann brauchst du nicht zu laufen.«
    »Ja, cherie, ich komme sofort.« Noch einmal stellte er sich vor seine Kollegen und sagte mit warnender Stimme: »Seht euch vor, Freunde! Und sagt nicht, daß ich euch nicht gewarnt hätte. Er wird kommen, ihr werdet ihn schmecken. Er wird das Grauen aus dem Süden mitbringen und die große

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