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Frevel: Roman (German Edition)

Frevel: Roman (German Edition)

Titel: Frevel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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Prolog
    Mortlake, Haus von John Dee
    3. September im Jahr des Herrn 1583
    Ohne Vorwarnung flackern alle Kerzen im Raum und erlöschen, als wäre ein plötzlicher Luftzug hereingezogen, aber die Luft bleibt ruhig. Im selben Moment beginnt die Haut meiner Arme zu kribbeln, die Härchen richten sich auf, und ich erschauere – ein kalter Atemzug streift uns, obwohl draußen der Tag allmählich anbricht. Verstohlen schiele ich zu Doktor Dee, der wie zu einer Marmorstatue erstarrt dasteht, die Hände wie im Gebet versunken gefaltet und die Knöchel beider Daumen erwartungsvoll gegen die Lippen gepresst hat – oder gegen das, was durch seinen aschgrauen Bart davon zu sehen ist, der ihm in einer Imitation Merlins, als dessen Erben sich Dee heimlich betrachtet, spitz zulaufend bis auf die Brust fällt. Ned Kelley, der Wahrsager, kniet vor dem Arbeitstisch auf dem Boden, kehrt uns den Rücken zu und hält den Blick auf den gänseeigroßen, hellen, durchsichtigen Kristall gerichtet, der in einem Messingständer auf einem quadratischen roten Seidentuch ruht. Die hölzernen Läden der Fenster des Studierzimmers sind geschlossen; diese Zeremonie muss im Schatten, im Kerzenlicht durchgeführt werden. Kelley holt tief Atem wie ein Schauspieler, der sich anschickt, seinen Prolog zu sprechen, und breitet die Arme aus wie ein Gekreuzigter.
    »Ja …«, keucht er schließlich. Seine Stimme ist kaum lauter als ein Flüstern. »Er ist hier. Er gibt mir ein Zeichen.«
    »Wer?« Dee beugt sich mit vor Eifer funkelnden Augen vor. »Wer ist er?«
    Kelley wartet kurz mit der Antwort. Seine Brauen ziehen sich zusammen, als er sich auf den Kristall konzentriert.
    »Ein Mann, größer als ein gewöhnlicher Sterblicher, mit einer Haut so dunkel wie poliertes Mahagoni. Er ist von Kopf bis Fuß in ein zerrissenes weißes Gewand gehüllt, und seine Augen bestehen aus rotem Feuer. Mit der rechten Hand hält er ein Schwert in die Höhe.«
    Bei diesen Worten fährt Dees Kopf herum, er umklammert meinen Arm und starrt mich an. Der Schock in seinem Gesicht muss sich in meinem eigenen widerspiegeln. Genau wie ich hat er die Beschreibung erkannt: Das Geschöpf, das Kelley in dem Kristall sieht, passt zur ersten Figur im Zeichen des Widders, so wie der antike Philosoph Hermes Trismegistos es beschreibt. Es gibt sechsunddreißig solcher Gestalten, die ägyptischen Götter der Zeit, die die Einteilung des Tierkreises beherrschen und von denen manche als »Sternendämonen« bezeichnet werden. Doch es gibt nur wenige Gelehrte in der christlichen Welt, die die Figur identifizieren können, die Kelley sieht, und zwei davon befinden sich hier in diesem Studierzimmer in Mortlake. Wenn es wirklich das ist , was Kelley sieht. Ich ziehe es vor, mich nicht dazu zu äußern.
    »Was sagt er?«, drängt Dee.
    »Er hält ein Buch vor sich«, erwidert Kelley.
    »Was für ein Buch?«
    »Ein altes Buch mit abgewetztem Einband und Seiten aus Blattgold.« Kelley lehnt sich tiefer über den Kristall. »Wartet! Er schreibt mit dem Zeigefinger etwas darauf – mit Blut.«
    Ich würde gern fragen, was die Gestalt mit dem Schwert gemacht hat, während sie schreibt – es sich vielleicht unter den Arm geklemmt? –, aber Dee würde es mir verübeln, wenn ich diese Angelegenheit ins Lächerliche zöge. Ich höre, wie er neben mir zischend den Atem einzieht. Er brennt darauf zu erfahren, was der Geist schreibt.
    »XV«, berichtet Kelley nach einem Augenblick. Er dreht sich um, erst, um zu uns aufzublicken, und dann, um über seine rechte Schulter zu spähen. Er wirkt verwirrt. Vielleicht erwartet er, dass Dee die Zahlen deutet.
    »Fünfzehn, Bruno«, flüstert Dee, dabei sieht er mich bestätigungsheischend an. Ich nicke einmal. Das verloren geglaubte Buch von Hermes Trismegistos, das Buch, das ich in England zu finden gehofft hatte und von dem ich jetzt weiß, dass Dee es vor Jahren in den Händen gehalten hatte, nur um brutal überfallen und beraubt zu werden und es wieder zu verlieren. Konnte das sein? Mir kommt plötzlich ein Gedanke: Was, wenn Kelley die Besessenheit seines Herrn von diesem fünfzehnten Buch kennt?
    Der Wahrsager gebietet mit erhobener Hand Schweigen, ohne den Blick von dem Kristall abzuwenden.
    »Er blättert die Seite um. Jetzt zeichnet er etwas … es sieht aus wie … ja, es ist ein Zeichen – rasch, holt mir Papier und Tinte!«
    Dee beeilt sich, das Verlangte zu bringen. Kelley streckt eine Hand danach aus und schwenkt sie ungeduldig, als fürchte er, das

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