Bleiernes Schweigen
es ist mir auch scheißegal.« Er tritt näher. »Gib mir die Hand und lächele.«
Der Mann gehorcht. Von weitem könnte es als ein Treffen zweier alter Freunde durchgehen. Andrea klopft ihm auf die Schulter.
»Wollen wir uns ein paar Modelle ansehen?«
Der Mann folgt ihm wortlos.
Sie gehen zum Regal zurück. Interessiert betrachtet Andrea einen DVD-Player mit integriertem Rekorder.
»Beug dich zu mir, tu so, als interessiertest du dich für dieses Ding, und gib mir den Umschlag. Beug dich nach …«
»Nach vorn, ich weiß. Verdammt noch mal, glaubst du, ich hab nicht gesehen, wo die Kameras hängen?«
Ohne etwas zu sagen nimmt Andrea den Umschlag, schiebt ihn in den Hosenbund, macht die Jacke zu und dreht sich lächelnd um.
»Und, was meinst du?«
Der Mann steht ihm gegenüber. Die Kamera erfasst gerade noch sein Profil.
»Das hat alles, was man braucht. Aber nicht alle Antworten.«
Andrea hält ihm die Hand hin. Sie verabschieden sich.
Er stellt sich vor, wie der andere in den Klos der Abteilung Datenverarbeitung des Finanzministeriums sitzt und sich heimlich weißes Pulver durch die Nase zieht.
Bei einer Antidrogen-Aktion vor zwei Jahren ist er ihm zufällig draufgekommen, und zwei Tage später tranken sie zusammen einen Kaffee, der eine verängstigt, der andere mit einem Angebot, das man nicht ausschlagen konnte. Ein Tauschgeschäft sozusagen. Immunität gegen den Zugang zur EDV des Ministeriums. Ein fairer Handel, der beiden nützt.
Andrea geht auf einen Verkäufer zu, fragt ihn das Erstbeste, was ihm durch den Kopf schießt, hört sich geduldig die Antwort an, bedankt sich und geht.
Den Umschlag öffnet er erst, als er weit weg vom Einkaufszentrum im Auto ist. Er parkt an einer geschlossenen Tankstelle, mit der Front zur Ausfahrt.
Er reißt das Kuvert auf, liest.
Zwei der Kontonummern aus Elenas Unterlagen gehören zur Sadost und befinden sich in derselben Bank. Andrea geht die übrigen Daten dreimal durch, steckt sich die Telefonkopfhörer ins Ohr, legt den Gang ein und wählt eine Nummer.
Am anderen Ende der Leitung ist Daniele. Eine verschlüsselte Verbindung, die sich nicht zurückverfolgen lässt.
»Die Sadost hat zwei Konten bei einer Schweizer Bank«, sagt er. »In Italien gibt es nur eine Niederlassung. Die von Elena vermerkten Kontobewegungen beziehen sich auf zwei Zeiträume zwischen 1992 und 1994. Aber in der Zeit gibt es auch noch andere.«
»Von wie viel reden wir?«
»Ungefähr dreißig Milliarden Lire.«
Schweigen. Irgendwo fällt eine Tür zu.
»Ist das alles?«
»Nicht ansatzweise. Eine der Gutschriften stammt von der Fin Art, Larinzettis Unternehmen, für das Arianna gearbeitet hat. Die Überweisungen, die Elena nachvollzogen hat, stammen jedoch aus dem Ausland. Schweiz und Kanada. Wenn man den Geldfluss ganz zurückverfolgt, landet man auf den Bahamas. Eine Off-Shore-Gesellschaft, eingetragen auf den Namen eines holländischen Anwalts.«
»Großartige Arbeit.«
»Das entscheidende Detail kommt noch, Daniele. Bei derselben Bank finden sich persönliche Konten von Luca Rossini, seiner Frau Crystal und Antonio Marsigli.«
»Dein Anruf hat mich nicht überrascht.«
Cesare Grossi ist ein paar Jahre älter und zwanzig Kilo schwerer als mein Vater. Als Adriano am frühen Nachmittag bei ihm eintrifft, führt er ihn ins Wohnzimmer und begrüßt ihn mit diesem Satz.
Adriano hebt kaum merklich die Augenbraue.
»Ich hatte gehofft, du würdest mich anrufen.«
Grossi lacht herzlich.
Sie kennen sich seit dreißig Jahren. Ein junger Journalist und der Ghostwriter zahlreicher Regierungspolitiker, denen er als fürstlicher Rat zur Seite stand. Zwei Seiten des Grabens, an dem beide ihren Mann stehen müssen, ehe die Welt sie in Stücke reißen kann. Essen, Wein und eine ordentliche Portion Einsamkeit haben ihr Übriges getan.
»Du bist immer einen Schritt voraus, stimmt’s?«
Grossi wartet auf eine Antwort, ein Zeichen des Einvernehmens. Dann wird er plötzlich ernst.
»Verstehe, du bist nicht zu Scherzen aufgelegt.« Er senkt die Stimme. »Ich auch nicht.«
Er bewohnt eine Dachwohnung hoch über der Altstadt. Er ist allein, sein Lebensgefährte wurde vor ein paar Jahren Opfer eines Autounfalls. Eine Weile lang ist er nicht vor die Tür gegangen. Jetzt unterrichtet er an einer Privatuni und erteilt seinen teuren Rat jedem, der ihn nötig hat.
Als Francesco Cèrcasi sich in die Politik gestürzt hat, war Cesare Grossi der Einzige, der ihm zuhörte. Der Einzige, mit dem
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