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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferruccio Pinotti , Patrick Fogli
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aufgerissenem Mund, als tauchte ich nach Jahrhunderten wieder an die Wasseroberfläche. Die Tränen rinnen mir übers Gesicht, heiß, salzig, unaufhörlich.
    Zwei Minuten später kommt Giulia herein, ich höre, wie sie die Einkaufstüte abstellt und nach mir ruft. Kurz darauf betritt sie das Schlafzimmer. Ich drehe mich kaum um, versuche zu lächeln und kann nicht aufhören zu weinen. Ohne etwas zu sagen lässt sie den Mantel zu Boden gleiten, legt sich zu mir, umarmt mich und schmiegt den Kopf an meine Brust.
    Ich streichle ihr Haar. Eine Ewigkeit liegen wir so da, im Bett, in dem sie gezeugt wurde, neben dem Zimmer, in dem sie groß geworden ist und in dem ich später meine Kindergeschichten und die Einsamkeit dieser Obsession gehortet habe.
    Nach einer Weile schlafen wir ein. Ich erwache als Erster, es ist früher Nachmittag. Möglichst lautlos stehe ich auf, sie rührt sich kaum, schiebt die Hand unter die Wange und schläft weiter.
    Ich stehe in der Tür und sehe sie an. Sie ist Elena so ähnlich, so anders. Das letzte Mal, das sie in diesem Bett geschlafen hat, reichte sie mir gerade mal bis zur Hüfte. Ich lächle, und diesmal von Herzen.
    Da ist kein Schmerz mehr, keine Tränen.
    Kurz darauf schlägt sie die Augen auf.
    »Wie lange stehst du schon da?«
    »Seit einer Weile …«
    »Ich bin eingeschlafen.«
    »Ich auch«. Pause. Sie hat sich noch immer nicht gerührt. »Willst du weiterschlafen?«
    »Nein.«
    »Hast du Hunger?«
    Sie nickt.
    »Ich auch. Bleib liegen, ich ruf dich, wenn’s fertig ist.«
    Sie nickt wieder.
    Ich drehe mich um und gehe in die Küche.
    Das Leben geht weiter. Immer. Es kommt und geht.
     
    Am Morgen danach war die Wohnung leer, Giulia im Flieger und der Schnee überall.
    Es schien aufgehört zu haben, doch das Schlimmste sollte noch kommen.
    Ein plötzlicher Sturm, der sich nicht legen wollte. Man konnte das Haus nicht verlassen. Die Stadt hatte sich mit einem Mal in ein Bergdörfchen verwandelt, der Schnee säumte einen halben Meter hoch die Straßen, die Räumwagen kamen nicht nach. Ich stand am Küchenfenster und sah zu, wie das Weiß auf Fensterbrettern, Gehsteigen und Autodächern höher und höher wurde, die Straßen verschluckte und Wagen und Fußgänger unter sich begrub. Es kam mir richtig vor, alles zu säubern, alles auszulöschen, zu ersticken und von vorn anzufangen.
    Genau das wollte ich tun. Es war das Einzige, was mir noch blieb.
    Ich wusste nicht – und sollte erst sehr viel später erkennen –, dass es noch nicht zu Ende war und dass diese unvorhergesehenen, unbändigen Flocken etwas vermocht hatten, was sonst unmöglich gewesen wäre.
    Sie hatten mir das Leben gerettet.
     
    Daniele sieht vom Schreibtisch auf und blickt auf die Wand gegenüber.
    Ein Foto von John F. Kennedy und seinem Bruder. Im Hintergrund der Schreibtisch des Präsidenten, das Fenster des Oval Office. Das Sonnenlicht fällt herein und zeigt die beiden im Gegenlicht. Sie sitzen einander gegenüber und reden, die Köpfe dicht zusammen. Er stellt sich das Gemurmel vor, meint ihre Worte zu hören.
    Dieses Schwarzweißfoto ist das Geschenk einer Frau. Vor vier Jahren ist sie gegangen. Das Haus, in dem er lebt, gehörte ihnen gemeinsam.
    Die Drohungen hatten ein Jahr zuvor angefangen. Vor kurzem erst hatten sie beschlossen, dass sie ein Kind haben wollten. Zuerst war es ein Umschlag mit Patronen gewesen, er war in die Staatsanwaltschaft geschickt worden. Zwölf, um genau zu sein. Dann ein Ziegenkopf, der irgendwie auf ihrer Schwelle gelandet war. Und dann Telefonanrufe. Meistens waren sie stumm. Oder man hörte eine trockene, akzentfreie Stimme, die nur einen Satz sagte.
    »Hier Falange Armata. Ihr seid tot.«
    Zu Hause war das zweimal passiert. Das zweite Mal hatte sie abgehoben.
    Sie wurden alle woandershin gebracht. Daniele, seine Frau, die Eltern, die Schwiegereltern. Verschiedene Orte, wo, hatte er erst später erfahren. Costa Rica, Brasilien. Sie beide waren in den Bergen gelandet. In einer Art Burg im Trentino.
    Es hatte ein paar Monate gedauert, während derer Angela so gut wie nicht gesprochen hatte. Kurz nach ihrer Rückkehr war sie gegangen. Ohne ein Wort. Sie war einfach weg. Er hatte lediglich überprüfen lassen, ob sie entführt worden war.
    Dann hatte er das Foto der Kennedys genommen und es woanders hingehängt. Vom Wohnzimmer ins Arbeitszimmer, gegenüber dem Schreibtisch. So hat er es immer vor Augen, wenn er zu Hause arbeitet.
    Er atmet tief durch.
    Der Brief ist fertig. Er hat

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