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Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman

Titel: Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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einer tiefhängenden Lampe stand. Hier wurde die edlere Art von Billard zelebriert, das Spiel mit drei Kugeln. Karambolage.
    Es war still. So still, daß das Klacken der Kugeln von nebenan unnatürlich laut wirkte. Ich erkannte Schläfti, der, mit einem Bierglas in der Hand, in der vordersten Reihe der Zuschauer stand. Es waren viele Zuschauer. Sie umstanden den Kampfplatz in dichten Reihen. Der Zigarettenrauch über ihren Köpfen wirkte wie die Ausdünstung der Spannung im Raum.
    Um mehr zu sehen, schob ich mich durch die Reihen, bis ich unmittelbar hinter Schläfti stand. Er drehte sich um und nickte mir zu. Er näherte seinen Mund meinem Ohr und flüsterte: »Er hat schon vierzehn. Eine tolle Serie.«
    Ich verstand gerade genug von Billard, um zu begreifen, daß er die Serie des gerade Spielenden meinte. Vierzehnmal hintereinander hatte er ein Karambol geschafft, das heißt, die vom Queue gestoßene Kugel hatte nacheinander die beiden anderen Kugeln berührt. Bei einfacher Karambolage ist eine Serie von vierzehn nichts Besonderes. Aber hier wurde, wie ich bald merkte, die Königsdisziplin gespielt. Dreibandenbillard. Das bedeutet, daß der Spielball zwischen dem Berühren des ersten und des zweiten Balles dreimal gegen die Bande stoßen muß. Die geometrischen Komplikationen sind ungeheuer, das Vorausberechnen der verschiedenen Einfallsund Ausfallswinkel setzt höchste Abstraktionsfähigkeit voraus. Meines Wissens steht der Weltrekord bei einer Serie von zwanzig Stößen.
    Der Spieler, der sich nun entspannte und seine Queuespitze mit Kreide einrieb, war mir bekannt. Es war der Kerl mit dem Menjoubärtchen aus dem Kulturkaffee. Sein Gegner war niemand anderes als mein Freund und Landsmann Dick.
    Dick stand mit gekreuzten Armen am Tisch und starrte abwesend auf das grüne Tuch. Er sah schrecklich aus. Das Gesicht verschwollen. Eine lange Platzwunde an der Stirn mit aufgeworfenen Rändern. Sie waren offensichtlich frisch genäht worden. Man sah die Fäden.
    Dann war der andere soweit. Er beugte sich vor, formte mit auseinandergespreiztem kleinen Finger und Ringfinger den Bock, schob das Queue durch die Öffnung zwischen Daumen und abgebogenem Zeigefinger und ließ seine Spitze dreimal zwischen Kugel und Bock hin und her schwingen. Dann kam der Stoß.
    Während die Kugel rollte, spürte ich fast körperlich, wie ihr alle mit den Blicken folgten. Aller Augen und Gedanken schienen in der Kugel eingeschlossen und trieben sie voran oder versuchten sie zu lenken. Es war eine weiße Kugel, und ich mußte an Schläftis Schneemann denken. Wurde sie nicht größer, während sie ihre Bahn zog? Ihr Effet war kräftig. Es war die Botschaft, die sie der anderen Kugel mitteilte und auch den Banden, die sie anschließend berührte.
    Auch Dick folgte mit den Augen der Bahn der Kugel. Er lächelte zufrieden. Bald wußte ich den Grund: die Spielkugel kroch an der zweiten Kugel vorbei. Es fehlten nur Millimeter. Die Serie war beendet. Der Spieler stellte die Ballmarkierung an der Tischflanke auf vierzehn. Eine hervorragende Ausbeute.
    Dick war an der Reihe. Anders als sein Gegenspieler wirkte er geistesabwesend, wie ein Schlafwandler eher. Er stellte sein Bierglas auf dem Rand des Tisches ab, drückte die Knie ein wenig durch, warf den Kopf in den Nacken, formte mit der Linken den Bock und stieß. Alles ging schnell. Zug um Zug wanderte Dick um den Tisch herum, in kleinen Schritten, wie ein Tanzbär an der Leine. Fast hatte man den Eindruck, er sei die vierte Kugel, die durch einen ungestümen Stoß über die Tischkante hinausgesprengt worden war.
    Die Serie schien kein Ende nehmen zu wollen. Dichter und dichter wurden die Schwaden über dem Tisch, atemloser die Stille. Nur die kleinen Schweißperlen auf seiner lädierten Stirn verrieten, welche physische Anstrengung Dick sich abverlangte. Nach der vierzehnten Karambolage stieß sein Partner die Queuespitze wütend auf den Boden. Ungerührt spielte Dick weiter. Zug um Zug, die fünfzehn, die sechzehn, die siebzehn, die achtzehn.
    Vor dem neunzehnten Zug lagen die Kugeln ungünstig. Das konnte sogar ich sehen. Dick bückte sich und peilte aus verschiedenen Richtungen über die Tischkante hinweg. Mehrmals umkreiste er den Tisch, schüttelte den Kopf, setzte zum Stoß an, brach ab, kratzte sich, trank. »Ein großes Bier und einen Doppelten!« rief er plötzlich.
    Es war fast eine Erlösung, eine menschliche Stimme zu hören. Auch andere bestellten. Dann, als serviert worden war, kehrte

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