Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman
Schwäche, phantastisch, ein Hamlet oder ein Shylock, ganz wie er will, mal schmierig, mal besessen, mal verrückt, mal eiskalt. Schade, daß er in diesem Nest seine Perlen vor die Säue werfen muß. Komm, ich bring dich zu ihm. Vielleicht kannst du ihn überreden, doch zu spielen.«
Ich hätte ihr mit geschlossenen Augen folgen können, denn die Komtesse Stasi stank bestialisch nach einem beißend süßlichen Parfum. Wir gingen durch einige leere Räume, dann eine Wendeltreppe hinab. Ich mußte mich beim Gehen bücken, weil sie voranging und immer noch meine Hand festhielt.
Wir landeten vor einer verschlossenen Tür. Stasi legte das Ohr an sie und horchte. »Die Probebühne«, flüsterte sie. »Ich glaube, er übt seine Rolle gerade. Gehen Sie voran, aber möglichst leise.«
Ich spürte die Knöchel ihrer Hand in meinem Rücken, die Tür öffnete sich, und sie schob mich hinein.
Ein kahler Raum. An seiner Decke brannte eine Glühbirne. Direkt unter ihr ein nackter Mann, der in seinem Schlagschatten saß wie in einer schwarzen Pfütze. Mittelgroß, roter Schnurrbart. Sein linker Arm kürzer als sein rechter, die linke Hand ungewöhnlich klein. Er bedeckte sein Geschlecht mit ihr, als schämte er sich vor meinen Augen. Die Rechte streckte er mir entgegen. Ich sah plötzlich, daß er nicht vollständig nackt war. Er trug einen Ring. Den Spektralfarben nach, die von ihm ausgingen, war es ein Brillantring. Auch ich streckte meine Hand aus. Er ergriff sie und drückte zu.
Unter normalen Umständen hätte ich aufgeschrien. Es tat sehr weh. Als wären meine Finger in einen Schraubstock geraten. Hier aber hinderte die künstliche Atmosphäre jede direkte Gefühlsregung.
Als er meine Hand freigab, lachte er kurz und militärisch auf. Er deutete auf das Blut, das von meinem kleinen Finger tropfte. Ich sah dort eine kleine, tiefe Wunde. Er hatte also den Ring mit dem Stein nach innen geschoben, ehe er mir die Hand gab.
»Sie müssen jetzt sagen: ›Ihro Majestät, ich begrüße Sie im Namen der niederländischen Regierung und wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in unserem Land‹«, flüsterte die Komtesse in meinem Rücken.
Ich sagte: »Es ist mir eine außerordentliche Ehre, Majestät im Namen der holländischen Regierung zu begrüßen und Ihnen einen der Bedeutung Ihrer Person angemessenen Aufenthalt zu wünschen.«
»Fabelhaft«, sagte die Komtesse.
»Sie haben die Probe bestanden«, sagte er. »Sie sind ein ganzer Mann.« Er drehte den Ring in die alte Position zurück. Dann erhob er sich von dem rohen Hocker, auf dem er die ganze Zeit gesessen hatte. Ich sah, wie er vor Kälte zitterte.
»Gib mir meinen Mantel, Hermine«, sagte er. Die Komtesse kicherte. »Hermine ist noch nicht dran, Wilhelm«, sagte sie. »Noch bist du mit Dora, der Kaiserin, verheiratet.« Sie verschwand im Hintergrund und kam mit einem schmutzigen, zerrissenen Hermelinmantel zurück und legte ihn dem Kaiser um die Schultern. Dann sahen mich beide herausfordernd an.
Ich fühlte, es gab nur eine Chance für mich: spielen. Wenn ich es mit einem Fanatiker zu tun hatte, dann mußte ich ihn dort packen, wo seine Leidenschaft ansetzte. Hier war es, wie mir schien, die absolute Besessenheit, in einer Rolle so sehr aufzugehen, daß sie in Realität überging.
Ich verneigte mich tief und sagte mit fester Stimme: »Majestät, man hat Sie lange warten lassen. Zu lange, wie ich finde. Es ist unangemessen, einen Herrscher warten zu lassen, auch wenn sein Volk einen Krieg verloren hat. Denn Warten ist eine Form der Demütigung mit den Mitteln der Zeit. Die Zeit wird als Werkzeug benutzt, einem Wartenden die Würde zu nehmen. Sie macht ihn nackt.«
Er wirkte, als träfen ihn meine Worte wie Axthiebe. Stöhnend krümmte er sich hin und her, sein verkürzter Arm zuckte hoch. Seine Hand griff in sein wirres Haar.
»Darf ich fragen, welche Funktion Sie in der holländischen Regierung bekleiden?« ächzte er.
»Ich bin Adjutant der holländischen Krone und als solcher befugt, Sie im Namen Ihrer Majestät, der holländischen Königin, herzlich in unserem Land willkommen zu heißen.«
Es schien, daß ihn plötzlich ungeheure Wut packte. Er lief auf und ab, gestikulierend, schreiend: »Wir haben den Krieg zwar verloren, aber nicht umsonst. Wir haben die äußere Macht gegen die innere vertauscht. Weißt du, was das heißt?« Er sprang auf mich zu und packte mich am Kragen. Ich roch seinen scharfen Schweißgeruch, seinen sauren Atem: »Es heißt, daß
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