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Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman

Titel: Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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besitzergreifend auf seine Schultern gelegt. Beide sangen aus vollem Halse, wobei sie sich in die tiefdekolletierte Brust warf und ihr Bein aus dem seitlich geschlitzten Kleid streckte. Es war laszive Fünfzigerjahre-Erotik, Ehebruch zwischen Topfpflanzen auf falschen Perserteppichen, Büstenhalterreklame in Lesezirkelmappen.
    Unter dem Bild stand folgender Text: »Edwins Beziehungen zu Stasi haben sich gebessert. Schon beratschlagen sie miteinander: ›Komm, machen wir’s den Schwalben nach!‹«
    Ich fragte mich, ob irgend jemand aus dem hiesigen Publikum überhaupt die hanebüchene Ironie wahrnahm, die im Namen der zweiten weiblichen Hauptrolle, der Komtesse Stasi, lag. Aber vielleicht tat ich den Leuten hier Unrecht, vielleicht war dieses Moment von Realsatire einer der Gründe für die offensichtliche Beliebtheit der Operette.
    An der den Fenstern gegenüber liegenden Wand war eine große Flügeltür. Ein Schild hing daran: »Nichtöffentliche Generalprobe, bitte nicht stören.«
    Wieder erklang das Lied, schnulzig überdehnt in übertriebener Duettseligkeit. Dann hörte ich eine markige Stimme: »Das genügt. Es ist scheußlich genug, was ihr da bringt. Den Leuten wird’s gefallen.« Dann hörte ich trippelnde Schritte. Die Tür wurde geöffnet, und eine Dame erschien. Sie trug ein weißes Kleid und einen schwarzen Hut, schwarze, zu enge Netzstrümpfe, zwischen denen das weiße Fleisch hervorquoll, schwarze Stöckelschuhe und weiße Handschuhe, die bis zum Ellbogen reichten. Ihr Gesicht war weiß gepudert und die Augen schwarz umrandet. Sie wirkte wie eine nackte Schaufensterpuppe, frivol und leblos zugleich.
    Sie gefiel mir nicht. Es war nicht die exaltierte Aufmachung, die nuttenhafte Art, sich zu bewegen, die Tatsache, daß sie im Gehen aus einer überlangen Zigarettenspitze rauchte. Das alles hätte mich eher amüsiert. Es war die sexualisierte Kälte, die von dieser Person ausging.
    Merkwürdigerweise erinnere ich mich an meine Kindheit nur in Schwarzweiß. Wahrscheinlich, weil ich eine Menge Schwarzweißfotos und Filme aus der Zeit gesehen habe und auch das Fernsehen damals noch nicht farbig war. Jetzt stand diese schwarzweiße Frau vor mir, und ich hatte das seltsame Gefühl, mich in einen Wust von Erinnerungen an früher zu verlieren. Ich erkannte sie sofort. Nach dem Bühnenfoto, das ich eben erst betrachtet hatte. Die Komtesse Stasi. Zugleich überkam mich das Gefühl, in großer Gefahr zu schweben. Vielleicht haben wir doch noch zuweilen Reste jenes Urinstinkts, der Tiere warnt, wenn ihre Existenz auf dem Spiel steht. Genauso instinktiv trifft ein Tier Gegenmaßnahmen, gleichgültig, ob sie in Angriff oder Flucht oder Tarnung bestehen. Für Kopfnaturen wie mich stand in diesem Augenblick keiner dieser drei Wege offen. Ich wartete ab.
    »Sie sind ein schöner junger Mann«, sagte die Komtesse. »Man könnte es direkt mal mit Ihnen versuchen.«
    »Ich würde gerne den Hauptdarsteller sprechen.«
    »Den süßen Edwin? Er ist im Augenblick ein wenig von der Rolle, könnte man sagen.« Sie lachte so übertrieben, so geziert, wie man nur als professioneller Bühnenmensch lachen kann. »Dann kommen Sie mal mit, mein Herr.«
    Sie nahm meine Hand und zog mich in den Raum hinter der Tür. Er überraschte mich durch seine Größe. Mindestens zwanzig Stuhlreihen rechts und links. Die Bühne ganz in Schwarzweiß dekoriert. Ein Salon. Sie hielt mich immer noch an der Hand, geleitete mich eine Treppe neben der Rampe empor. Ein großes weißes Sofa auf der Bühne, daneben zwei schwarze Figuren, nackte Knaben mit Pfeil und Bogen, Liebesgötter. Die Komtesse Stasi zog mich aufs Sofa. Sie nahm meine Hand, streichelte sie, summte: »Machen wir’s den Schwalben nach...« Ich saß da, wußte nicht, was diesen Traum so wirklich erscheinen ließ. Die Komtesse hob den Schleier und bot mir ihre Lippen dar. Ich küßte sie. Noch immer frage ich mich, warum ich so leicht zum Mitspielen zu bewegen war. Ich war aus vollem Herzen Statist. Eigentlich war mir alles egal. Sie räkelte sich, schwang die Beine hoch und legte sie über meine Oberschenkel.
    »Edwin ist unser Sorgenkind. Er ist ein schrecklich sensibler Mensch, aber er ist genial, wenn er in Fahrt kommt. Jetzt behauptet er plötzlich, er könne heute abend nicht singen. Am liebsten spielt er Adlige, dann kann er seine Arroganz rauslassen. Du solltest ihn mal als Kaiser sehen, unglaublich, wie gut er ihn bringt. Diese Mischung aus Dummheit und Eleganz, aus Macht und

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