Blind vor Wut
der Name, den er sich gegeben hatte, Legion …
»Mein Name is Legion …«
Du lieber Himmel! Wie konnte ich, der ich so belesen bin, so etwas einfach übersehen?
Ich öffnete den Umschlag.
Ich nahm das Foto heraus, das sich darin befand, offenbar das Werk eines Profis, und plötzlich wurde mir ganz übel und schwindlig.
Meine eigenen Kinder! Mein eigener Sohn, meine eigene Tochter beim Analverkehr!
Ich konnte diesen fürchterlichen Anblick nicht ertragen, diesen Ausdruck lüsterner Ekstase auf ihren Gesichtern, aber ich vermochte den Blick auch nicht abzuwenden. Wie konnten sie nur so etwas Entsetzliches tun? Wie konnten sie es wagen, nachdem ich ihnen das Beste von allem und den weisesten Rat gegeben hatte, zu dem ich imstande war?
Analverkehr ist illegal, in manchen Staaten gar ein ernsthaftes Verbrechen. Im Wiederholungsfall ist es zudem gesundheitsschädlich und kann zu Krebs führen.
Und diese Schande! Denken Sie doch nur mal an die Schande, wenn ein solches Foto in fremde Hände gelangt! Nirgendwo könnte ich mich noch erhobenen Hauptes blicken lassen, wie ich es doch immer getan habe (ausgenommen in Fällen, wo ein beschiedenes Auftreten angeraten schien). Und die beiden könnten ebenfalls nicht länger erhobenen Hauptes durch die Welt gehen, wie ich sie gelehrt habe, es stets zu tun (außer dann, wenn eine bescheidene Haltung ihnen bessere Dienste leistete).
Meine Frau war hinausgegangen und drückte auf die Autohupe. Ich hörte sie, ein roter Zornesnebel schob sich vor meine Augen, ich stand langsam auf und ging hinaus in den sonnigen Morgen. Ich öffnete die Motorhaube, riss das Kabel an der Hupe ab und ging zur Fahrerseite, wo sie hockte und mich mit großen Augen anglotzte.
Ich drohte ihr mit einem gekrümmten Finger. »Kommen Sie ins Haus, Madam. Da gibt es etwas, das ich Ihnen zeigen muss.«
»Wir komm’ zu spät, Dokta. Is schon ziem’ich spät.«
»Ja, kommen wir«, sagte ich und versuchte, den Zorn in meiner Stimme zu unterdrücken. Was konnte man schon von Kindern erwarten, die ein solches Prachtexemplar zur Mutter hatten. »Zudem«, fuhr ich fort, »kann es gut passieren, dass du aufgrund einer ernsthaften Unpässlichkeit überhaupt nicht im Krankenhaus ankommst, es sei denn, du tust augenblicklich, was ich dir sage. Hast du mich verstanden, du aufgedunsene schwarze Kuh? «
Sie stieg aus dem Wagen und folgte mir in mein Büro. Ich reichte ihr das Foto, ihr fielen fast die Augen aus dem Kopf, und sie ließ sich so schwer in einen Sessel plumpsen, dass dieser beinahe unter ihr zusammenbrach.
»Ach herrje«, stöhnte sie. »Ach herrje, herrje!«
»Verdammt noch mal!«, fluchte ich. »Musst du dich eigentlich immer wie ein Niggerweib aufführen? Nutze nur ein einziges Mal in deinem Leben das bisschen Verstand, das du besitzt, und verrate mir, wie so etwas geschehen konnte.«
»Ach, weiß nich, Dokta.« Sie schnäuzte sich die dicke, flache Nase. »Ehrlich nich. Ich weiß es einfach nich.«
»Es ist Ihre Aufgabe, das zu wissen, Madam«, erklärte ich streng. »Sie sind die Mutter dieser Kinder, so unglaublich das auch scheinen mag, und deshalb verantwortlich für ihre Erziehung. Und nun verraten Sie mir freundlicherweise, wie es nur zu einer derart jämmerlichen Handlung kommen konnte.«
» Kannich nich, Dokta. Ich … Ich …« Dann fiel sie in Schweigen, und ihr fettes Gesicht legte sich in Denkfalten – so sehr strengte sie ihr kleines Hirn an. Endlich schüttelte sie den Kopf und murmelte in ihrer üblichen unverständlichen Art etwas vor sich hin. »Von damals noch kann’s nich gewesen sein. Wüsste einfach nich wie.«
»Was?«, fragte ich. »Wovon zum Teufel sprichst du?«
»Denk mal nach, Dokta. Is schon Jahre und Jahre her, da haste gerade erst angefangen. Wir hatten’s nich leicht, weißt du noch?«
»Und?«
»Da hatten wir noch nich so eine feine, große Wohnung wie jetzt. Da mussten wir alle noch in einem Raum schlafen, die Kinder in einem Bett und du und ich im anderen. Aber da waren sie natürlich noch ganz klein. Zu klein, um sich an irgendwas zu erinnern, was da passiert is, selbst wenn sie nich geschlafen haben.«
»Woran erinnern? Wovon redest du?«
»Weißt du nich mehr – nein«, unterbrach sie sich. »Schätze wohl nich. Aber damals war ich auch noch nich so dick und unförmig. Ich war so schön, wie Lizbeth heute is; schätze, ich sah ihr ziemlich ähnlich, und viel älter war ich damals auch nich, nein.«
»Verdammt noch mal«, wurde ich laut.
Weitere Kostenlose Bücher