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Blinder Passagier

Blinder Passagier

Titel: Blinder Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Herz raste, Adrenalin schoss mir ins Blut, während ich auf den festen weißen Umschlag starrte, auf dem in Bentons bescheidener schöner Handschrift »Kay« stand.
    Schließlich verfiel ich auf den kleinen feuerfesten Safe im Boden meines Kleiderschranks. Verzweifelt versuchte ich mich zu erinnern, wo ich den Zettel mit der Zahlenkombination hingetan hatte.
    »Ich verliere noch den Verstand«, rief ich laut.
    Die Kombination war, wo ich sie immer aufbewahrte, zwischen den Seiten 670 und 671 der siebten Ausgabe von Hunter's Tropical Medicine. Ich sperrte den Brief in den Safe, ging ins Bad und wusch mir das Gesicht mit kaltem Wasser. Ich rief Rose, meine Sekretärin, an und bat sie, in zirka eineinhalb Stunden einen Abholdienst in den Hafen von Richmond zu schicken.
    »Sagen Sie ihnen, dass der Leichnam in einem ziemlich erbärmlichen Zustand ist«, wies ich sie an.
    »Wie kommen Sie hin?«, fragte Rose. »Ich würde Ihnen ja raten, erst hierher zu kommen und den Suburban zu nehmen, aber Chuck hat ihn zum Ölwechsel gebracht.«
    »Ich dachte, er ist krank.«
    »Er ist vor einer Viertelstunde aufgetaucht und hat den Suburban geholt.«
    »Na gut, dann nehme ich meinen eigenen Wagen. Rose, ich werde das Luma-Lite brauchen und eine Dreißig-Meter-Verlängerungsschnur. Jemand soll auf dem Parkplatz damit auf mich warten. Ich melde mich, kurz bevor ich dort bin.«
    »Ich wollte Ihnen noch sagen, dass Jean ziemlich aus dem Häuschen ist.«
    »Was ist passiert?«, fragte ich überrascht.
    Jean Adams war die Verwaltungschefin des Leichenschauhauses und zeigte selten Gefühlsregungen, ganz zu schweigen davon, dass sie aus dem Häuschen geriet.
    »Offenbar ist die ganze Kaffeekasse verschwunden. Sie wissen, dass es nicht das erste Mal ist .«
    »Verdammt!«, sagte ich. »Wo wurde sie aufbewahrt?«
    »Eingeschlossen in Jeans Schreibtischschublade, wie immer. Es sieht nicht so aus, als wäre das Schloss aufgebrochen worden, aber sie hat heute Morgen nachgeschaut, und das Geld war nicht mehr da. Einhundertelf Dollar und fünfunddreißig Cent.«
    »Das muss ein Ende haben«, sagte ich.
    »Ich weiß nicht, ob Sie schon das Neueste wissen«, fuhr Rose fort. »Aus dem Aufenthaltsraum verschwinden Lunchpakete.
    Cleta hat aus Versehen abends ihr Handy auf ihrem Schreibtisch liegen lassen, und am nächsten Morgen war es weg. Das Gleiche ist Dr. Riley passiert. Er hat einen teuren Kugelschreiber in seinem Laborkittel vergessen. Am nächsten Morgen war er nicht mehr da.«
    »Die Putzkolonne?«
    »Vielleicht«, sagte Rose. »Aber meiner Meinung nach, Dr. Scarpetta - und ich will wirklich niemanden beschuldigen -, ist es jemand aus dem Haus.«
    »Sie haben Recht. Wir sollten niemanden beschuldigen. Gibt es auch gute Nachrichten?«
    »Bislang nicht«, sagte Rose sachlich.
    Rose arbeitete für mich, seit ich zur leitenden Gerichtsmedizinerin Virginias ernannt worden war, das heißt, sie hatte mein Leben nahezu während meiner gesamten Laufbahn organisiert.
    Sie verfügte über die bemerkenswerte Fähigkeit, praktisch alles zu erfahren, was um sie herum vorging, ohne sich darin verwickeln zu lassen. Ihr Ruf war tadellos, und obwohl das Personal ein bisschen Angst vor ihr hatte, war sie die Erste, an die man sich wandte, wenn es Schwierigkeiten gab.
    »Seien Sie vorsichtig, Dr. Scarpetta«, sagte sie. »Sie klingen furchtbar. Warum lassen Sie Jack nicht hinfahren und bleiben ausnahmsweise mal zu Hause?«
    »Ich nehme meinen Wagen«, sagte ich, als eine Woge des Schmerzes über mich hereinbrach, die auch meiner Stimme anzuhören war.
    Rose bemerkte sie und ging mit Schweigen darüber hinweg. Ich hörte, wie sie auf ihrem Schreibtisch Papiere ordnete. Ich wusste, dass sie mich irgendwie trösten wollte, aber das hatte ich nie zugelassen.
    »Vergessen Sie nicht zu wechseln, bevor Sie wieder einsteigen«, sagte sie schließlich. »Was zu wechseln?«
    »Ihre Kleidung. Bevor Sie wieder in ihr Auto steigen«, sagte sie, als hätte ich noch nie mit einer verwesten Leiche zu tun gehabt.
    »Danke Rose«, sagte ich.

3
    Ich schaltete die Alarmanlage ein und verschloss das Haus, dann machte ich Licht in der Garage und öffnete einen großen Spind aus Zedernholz mit Belüftungsschlitzen oben und unten. Darin befanden sich Wander- und hohe Gummistiefel, dicke Lederhandschuhe und ein Barbour-Mantel, dessen wasserdichte Oberfläche mich an Wachs erinnerte.
    Hier bewahrte ich Socken, Unterwäsche, Overalls und andere Dinge auf, die ich nie mit ins Haus nahm.

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