Blinder Rausch - Thriller
Ich bin in deiner Nähe, ich pass auf dich auf, auch wenn du es nicht merkst, hört sie Benjamins Stimme. Dann sieht sie, wie Benjamin sich langsam aufrichtet. Sein Blick verdüstert sich, als er bemerkt, dass sich das andere Mädchen regt. Sie darf nicht in Leonies Nähe bleiben! Benjamin springt auf, packt die andere an den Oberarmen und zieht sie fort in Richtung See. Dort lässt er sie im Uferschlick liegen und verschwindet.
War es so? Tränen und Staub brennen in Leonies Augen. Sie blinzelt in Richtung Frederik und flüstert: »Und gestern mit Benny? Hast du Marcel und Jens auf ihn gehetzt?« Frederiks Gesicht verzerrt sich: »Ich habe es dir doch gerade schon versucht klarzumachen, was hier läuft. Verstehst du das denn nicht? Benjamin ist an allem schuld! Gestern hat er mich zu einem Haus bei der Fabrik bestellt, weil er mir für 500 Euro die Speicherkarte mit den Bildern verkaufen wollte. Marcel, Jens und ich hatten alle Fotos gleich gelöscht. Benny rückt gestern plötzlich damit heraus, dass er es nicht gemacht hat! Angeblich könnte man unseren Keller und auch uns darauf erkennen, er würde das den Bullen geben, wenn ich ihm das nicht abkaufe.
Also fuhr ich mit Marcel und Jens ins Industriegebiet, aber Benny ließ sich nicht blicken. Die beiden sind dann los, um sich die Fabrik mal näher anzusehen. Keine Ahnung, was sie mit ihm gemacht haben oder mit wem sonst sich Benjamin eingelassen hat.«
»Wenn das alles stimmt, so wie du es sagst, wärst du bei Benny unschuldig und im Fall von Denise würde man dich doch höchstens wegen Beihilfe oder wie man das nennt, verurteilen können«, sagt Leonie.
Frederik beugt sich ganz nah an ihr Gesicht. In seiner behandschuhten Hand hält er die Trinkflasche und schüttelt sie. Der Inhalt schäumt auf: »Ich will aber wegen gar nichts verurteilt werden! Ich hab es dir vorhin schon gesagt, ich lass mir von euch nicht mein Leben kaputt machen!« Er tastet ihre Kleidung ab, zieht aus der Hosentasche ihr Handy hervor, schaut auf das Display. »Brav, hast es wenigstens abgeschaltet!« Seine abgehackten Bewegungen sind unnatürlich, er redet überlaut und seine Pupillen flattern. Hat er etwas eingenommen? Was ist Keta? Frederik ist mit drei seltsam schwingenden Schritten zur Brüstung gelangt. Er wirft das Handy in hohem Bogen in den Wald hinter dem Turm. »Hihi, das wär’s«, sagt er und kommt wieder zurück zu Leonie. »Jetzt bist du dran!«
»Wenn du mich jetzt umbringst, hilft es dir gar nichts! Irgendwann werden sie es herauskriegen, vielleicht haben Jens und Marcel oder Benny jetzt schon geredet.«
»Die halten dicht, sonst wären sie selber dran«, sagt er fest überzeugt, dann fügt er leise kichernd hinzu, »und Benny wird überhaupt nicht mehr reden. Seine Cousine hat es vorhin bei MYFRIENDS gepostet, – Benny hat Game over.« Frederik lacht wieder dieses kranke, irre Lachen.
Leonie schließt die Augen. Einen schrecklichen Moment lang ist es beinahe still. Nur der Wind im Dach des Aussichtsturms pfeift leise. In der Ferne hört man Krähen krächzen und gedämpfte Kinderstimmen aus der Richtung des Spielplatzes. Leonie öffnet wieder die Augen und sucht Frederiks Blick:
»Lass mich, bitte, ich verspreche dir, ich verrate dich nicht. Mir war ja nur wichtig zu wissen, was passiert ist, und das hast du mir ja jetzt erklärt.«
Er lacht bitter auf. »Leider glaube ich dir nicht. Außerdem will ich, dass jetzt endlich Schluss ist mit dem Theater! Schluss aus! Ruhe!«
Wie soll man jemanden zur Vernunft bringen, der nicht ganz bei sich ist? Leonie versucht es dennoch:
»Gleich werden Leute kommen und den Turm hinaufklettern. Dann musst du mich frei lassen!«
Er lacht böse. »Nein, es werden leider keine Leute kommen. Ich habe unten die Tür zugemacht, merkt ja keiner, dass sie nicht abgeschlossen ist, die lesen ja nur das Schild ›Kein Zutritt‹.« Er reibt sich lachend die Hände, wie Tobi, wenn ihm ein Streich gelungen ist.
Deshalb also wollte er unbedingt hinter ihr bleiben, als sie den Turm betraten. Leonie kennt die alte Holztür. Sie befindet sich im ersten Stockwerk des Turmes und riegelt die Treppe ab. Abends wird sie verschlossen, aber manchmal auch tagsüber, wenn Reparaturarbeiten anstehen. Wie oft ist sie schon mit ihren Freunden und Geschwistern hier herumgeklettert, wenn Papa mit ihnen am Wochenende oder in den Ferien zum Waldspielplatz gefahren ist? Was gäbe sie darum, jetzt einfach in diese Zeit flüchten zu können. Nicht mehr hier
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