Blink! - die Macht des Moments
können es tatsächlich. So wie wir gelernt haben, logisch und zielgerichtet zu denken, können wir auch lernen, bessere
Spontanurteile zu fällen. In diesem Buch werden Ihnen Ärzte, Generäle, Trainer, Designer, Musiker, Schauspieler, Verkäufer
und zahllose andere Menschen begegnen, die sämtlich Experten auf ihrem Gebiet sind und die ihren Erfolg zu einem guten Teil
ihrer Fähigkeit verdanken, unbewusste Reaktionen verfeinert und für sich nutzbar gemacht zu haben. Die Fähigkeit, etwas innerhalb
der ersten beiden Sekunden zu erkennen, ist keine magische Gabe einer Hand voll Auserwählter. Es ist eine Fähigkeit, die wir
alle erlernen können.
Eine neue und bessere Welt
Viele Bücher nehmen sich große Themen vor und analysieren die Welt aus der Vogelperspektive. Dies ist keines davon. In
Blink
geht es um die allerkleinsten Bausteine unseres Alltagslebens: Es geht um unsere ersten Eindrücke und spontanen Reaktionen
bei Begegnungen mit neuen Menschen, in komplizierten Situationen oder wenn wir unter Druck Entscheidungen fällen müssen. Und
es geht darum, wie diese Eindrücke zustande kommen. Wenn wir versuchen, uns selbst und unsere Welt zu verstehen, dann achten
wir zu oft auf die so genannten großen Themen und zu selten auf die Details des flüchtigen Augenblicks. Wie wäre es, wenn
wir zur Abwechslung einmal nicht den Horizont absuchen, sondern das Fernglas zur Seite legen und stattdessen ein Mikroskop
auf unsere Entscheidungsprozesse und unser Verhalten richten? Es könnte einen profunden Einfluss haben auf die Auswahl von
Mitarbeitern |23| in Unternehmen, die Beratung von Ehepaaren, die Produkte in den Regalen der Supermärkte, die Produktion von Kinofilmen, die
Ausbildung von Polizisten, die Kriegsführung und so weiter und so fort. Vielleicht klingt es vermessen, doch all diese kleinen
Veränderungen zusammen könnten am Ende vielleicht eine andere und bessere Welt ergeben. Wenn wir uns selbst und unser Verhalten
besser verstehen wollen, dann müssen wir uns eingestehen, dass eine Spontanentscheidung genauso gut sein kann wie monatelange
rationale Analyse. Dies ist meine Überzeugung, und ich hoffe, dass Sie am Ende des Buches derselben Ansicht sind.
»Ich war immer der Überzeugung, dass wissenschaftliche Analyse objektiver sei als ein ästhetisches Urteil«, sagte die Getty-Kuratorin
Marion True, nachdem die Wahrheit über die Herkunft des Kouros ans Licht gekommen war. »Jetzt muss ich feststellen, dass ich
mich geirrt habe.«
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|25| Kapitel 1
Die Theorie der dünnen Scheibchen
Warum wir mit wenig Wissen weit kommen
Vor einigen Jahren kam ein junges Ehepaar an die Universität Washington, um im Labor des Psychologen John Gottman an einem
Test teilzunehmen. Beide waren Ende 20, blond und blauäugig, trugen modisch zerzauste Frisuren und poppige Brillen. Die Mitarbeiter
des Labors sagten später, es sei die Art von Paar gewesen, die einem auf Anhieb sympathisch ist: Beide hätten intelligent,
attraktiv und aufgeweckt gewirkt, und das auf eine entspannte, selbstironische Art. Wer sich nachher die Videoaufnahmen ansah,
die Gottman von den beiden machte, bekam denselben Eindruck. Der Ehemann, den ich hier Bill nennen will, hat einen gewinnenden
und ein wenig verspielten Charme, seine Frau Susan einen scharfzüngigen und schlagfertigen Wortwitz.
Die beiden wurden in einen kleinen Raum im zweiten Stock eines unscheinbaren Bürogebäudes geführt, in dem Gottmans Labor untergebracht
ist. Auf einer kleinen Bühne setzten sie sich in 2 Metern Abstand zueinander auf Bürostühle. Dann wurden ihnen Elektroden
und Sensoren an den Fingern und Ohrläppchen angebracht, um ihre Herzfrequenz, Schweißausschüttung und Hauttemperatur zu messen.
Unter jedem der Stühle war ein »Zappelmeter« angebracht, der messen sollte, wie sehr jeder der beiden auf seinem Stuhl hin-
und herrutschte. Zwei Kameras, eine für jede der beiden Personen, nahmen alles auf, was sie sagten und taten. 15 Minuten lang
waren die beiden allein vor den laufenden Kameras und hatten lediglich die Anweisung, ein Thema zu diskutieren, das sich in
ihrer Beziehung zu einem Streitpunkt entwickelt |26| hatte. Für Bill und Susan war es der Hund. Susan mochte ihn, Bill dagegen nicht. 15 Minuten lang diskutierten sie, wie es
mit dem Vierbeiner weitergehen sollte.
Zumindest oberflächlich unterscheidet sich das Video dieses Gesprächs zwischen Bill und Susan kaum von
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