Blink! - die Macht des Moments
Unbewusste als eine Art Supercomputer
vorstellen, der schnell und leise all die Unmengen von Daten verarbeitet, die auf uns einströmen und die wir zum Überleben
benötigen. Wenn Sie zum Beispiel das Haus |18| verlassen und plötzlich bemerken, dass ein Lastwagen auf Sie zu rast, dann haben Sie keine Zeit, lange darüber nachzudenken,
wie Sie wohl am besten reagieren. Der einzige Grund, weshalb die menschliche Spezies so lange überleben konnte, ist, dass
wir im Laufe der Evolution einen Entscheidungsapparat entwickelt haben, mit dessen Hilfe wir eine Situation auch mit wenig
Informationen schnell einschätzen können. Der Psychologe Timothy D. Wilson beschreibt dies in seinem Buch
Strangers to Ourselves
so: »Das Gehirn arbeitet hocheffizient, indem es einen großen Teil des komplexen Denkens an das Unbewusste delegiert, so wie
ein modernes Linienflugzeug in der Lage ist, mittels Autopilot zu fliegen, mit wenig oder keinem Input von Seiten des menschlichen
oder ›bewussten‹ Piloten. Das adaptive Unbewusste versteht es hervorragend, die Umwelt einzuschätzen, Menschen vor Gefahren
zu warnen, Ziele zu setzen und Handlungen in intelligenter und effizienter Weise einzuleiten.«
Wilson beschreibt, wie wir je nach Situation zwischen dem bewussten und dem unbewussten Denken hin- und herschalten. Wenn
Sie sich entscheiden, eine Kollegin oder einen Kollegen zum Abendessen einzuladen, dann findet diese Entscheidung auf der
bewussten Ebene statt. Sie denken darüber nach, stellen sich vor, dass es ein schöner Abend werden könnte, und laden ihn oder
sie ein. Die spontane Entscheidung, mit demselben Kollegen einen Streit vom Zaun zu brechen, wird allerdings unbewusst getroffen,
von einem anderen Teil des Gehirns und von einem anderen Teil Ihrer Persönlichkeit.
Jedes Mal wenn wir einen neuen Menschen kennen lernen, wenn wir einen Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch treffen, wenn
wir mit einem neuen Vorschlag konfrontiert werden oder wenn wir rasch und unter Druck eine Entscheidung fällen müssen, dann
benutzen wir diesen anderen Teil unseres Gehirns. Wie lange haben Sie beispielsweise an der Universität oder in der Schule
gebraucht, um festzustellen, ob ein neuer Professor oder Lehrer etwas taugt oder nicht? Eine Unterrichtsstunde? Zwei? |19| Ein Semester lang? Die Psychologin Nalini Ambady von der Universität Harvard machte ein Experiment mit Studenten, in dem sie
ihnen drei Videoclips eines Professors vorspielte, jeweils zehn Sekunden lang und ohne Ton. Die Studenten konnten problemlos
ein Urteil über die Effizienz dieses Professors abgeben. Ambady verkürzte die Clips auf fünf Sekunden, und die Ergebnisse
blieben dieselben. Auch als Ambady die Videosequenzen auf zwei Sekunden verkürzte, ergaben sich noch weitgehend dieselben
Antworten. Dann verglich Ambady diese Spontanentscheidungen mit den Evaluationsbögen, die Studenten am Ende eines Semesters
ausgefüllt hatten, und stellte fest, dass die Bewertungen nahezu übereinstimmten. Das heißt, eine Person, die eine zwei Sekunden
lange Videosequenz eines Professors sieht, den er oder sie nie kennen gelernt hat, kommt zu denselben Schlüssen wie Studenten,
die ein Semester lang Gelegenheit hatten, die Qualität des Unterrichts zu beurteilen. So viel leistet unser adaptives Unbewusstes.
Ob Sie es bemerkt haben oder nicht: Auch Sie haben diesen Prozess in Gang gesetzt, als Sie dieses Buch im Laden in die Hand
genommen haben. Wie lange haben Sie sich dafür Zeit genommen? Zwei Sekunden? Doch diese kurze Zeit hat völlig ausgereicht,
damit das Cover, Ihre Assoziationen mit dem Titel und meinem Namen und vielleicht noch die ersten Sätze über den Kouros einen
Eindruck bei Ihnen hinterlassen haben. Und diese rasche Folge von Gedanken, Bildern und Erwartungen hat großen Einfluss darauf,
wie Sie dieses Einleitungskapitel bisher wahrgenommen haben. Würde es Sie nicht brennend interessieren, was in diesen beiden
Sekunden passiert ist?
Ich nehme an, die meisten von uns betrachten diese Spontanurteile mit einem gewissen Argwohn. Wir haben gelernt, dass die
Qualität einer Entscheidung direkt damit zusammenhängt, wie viel Zeit wir darauf verwenden. Wenn Ärzte eine schwierige Diagnose
stellen müssen, dann führen sie zusätzliche Untersuchungen durch, und wenn wir unsererseits unsicher sind, ob die Diagnose
auch stimmt, dann holen wir eine zweite Meinung ein. Unseren |20| Kindern bläuen wir dasselbe ein:
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