Blink! - die Macht des Moments
den zahllosen Gesprächen,
wie sie täglich zwischen zwei Ehepartnern stattfinden. Keiner der beiden wird sonderlich wütend, es gibt keine Szene, keine
Zusammenbrüche, keine plötzlichen Erleuchtungen. In gelassenem Tonfall sagt Bill zu Anfang: »Ich bin halt kein Hundefreund.«
Dann beschwert er sich ein bisschen, aber über den Hund, nicht über Susan. Sie bringt ihrerseits einige Klagen vor, aber es
gibt auch Momente, in denen die beiden schlicht zu vergessen scheinen, dass sie sich eigentlich streiten sollten. Als sie
zum Beispiel auf den Geruch des Hundes zu sprechen kommen, nimmt das Gespräch eine beinahe komödiantische Wende, und Bill
und Susan lachen sich an.
Susan:
Süßer! Sie riecht nicht!
Bill:
Hast du heute mal an ihr gerochen?
Susan:
Klar habe ich an ihr gerochen. Sie riecht gut. Ich habe sie gestreichelt, und meine Hände haben kein bisschen gerochen. Und
sie haben sich auch nicht schmierig angefühlt. Gib’s doch zu, deine Hände haben sich auch nie schmierig angefühlt.
Bill:
Doch, Chef.
Susan:
Ich hab meinen Hund nie schmierig werden lassen.
Bill:
Doch, Chef. Sie ist ein Hund.
Susan:
Pass auf, du! Mein Hund ist nicht schmierig.
Bill:
Nein, du pass auf!
Susan:
Nein, du pass auf! Nenn meinen Hund nicht schmierig, Bub!
Das Liebeslabor
Was meinen Sie: Wie viel können wir über die Ehe von Susan und Bill herausfinden, wenn wir uns dieses fünfzehnminütige Video |27| ansehen, das John Gottman von ihnen aufgezeichnet hat? Können wir daraus Schlüsse ziehen, wie glücklich oder unglücklich ihre
Ehe ist? Man sollte meinen, dass uns dieses Hin und Her über ein Haustier kaum etwas über die Beziehung zweier Menschen verrät.
Es ist viel zu kurz, werden die meisten sagen, und in einer Ehe geht es doch um viel wichtigere Dinge wie Geld, Sex, die Kinder,
die Schwiegereltern oder den Job. An manchen Tagen harmonieren Paare miteinander, an anderen streiten sie sich eben. Es gibt
Tage, da wollen sie einander an die Gurgel fahren, und ein paar Wochen später machen sie zusammen Urlaub und fühlen sie sich
wieder wie in den Flitterwochen. Als Außenstehende haben wir das Gefühl, um ein Paar wirklich zu kennen, müssten wir Wochen
und Monate mit ihnen verbringen und sie in den verschiedensten Situationen erleben – glücklich, müde, ärgerlich, gereizt,
froh, angespannt und so weiter – und nicht nur in dieser relativ entspannten Plauderstimmung, in der sich Bill und Susan über
ihren Hund unterhielten. Wir glauben, um uns eine Vorhersage darüber erlauben zu können, ob die Ehe Bestand haben wird oder
nicht, müssten wir so viele Informationen aus so vielen unterschiedlichen Lebenssituationen wie möglich zusammentragen.
John Gottman ist jedoch anderer Ansicht. Mit seinen Experimenten hat er bewiesen, dass wir keineswegs viel Zeit mit einem
Paar verbringen müssen, um einschätzen zu können, ob die Beziehung eine Zukunft hat oder nicht. In den achtziger Jahren begann
er mit seinen Untersuchungen im »Liebeslabor« in der Nähe des Campus der Universität Washington, und seither hat er rund 3
000 Ehepaare wie Bill und Susan befragt. Jedes Paar wurde auf Video aufgezeichnet und anschließend mit einer Methode analysiert,
die Gottman SPAFF (spezifischer Affekt) nennt. SPAFF ist ein Kodierungssystem mit 20 verschiedenen Kategorien, die jeder möglichen
Stimmung eines Ehepaares entsprechen. Ekel hat zum Beispiel die Ziffer 1, Verachtung die 2, Ärger die 7, Verteidigungshaltung
die 10, Gejammer die 11, Traurigkeit die 12, Blockadehaltung die 13, ein neutrales Gefühl die 14 und so weiter. |28| Gottman hat seine Mitarbeiter geschult, jede noch so kleine Gefühlsäußerung in der Gestik und Mimik der Testpersonen zu erkennen
und jeden scheinbar noch so vieldeutigen Wortwechsel eindeutig zu interpretieren. Während die Mitarbeiter ein Video analysieren,
weisen sie jeder der beiden Personen für jede Sekunde eine SPAFF-Ziffer zu. Am Ende eines fünfzehnminütigen Videos stehen
1 800 Ziffern, 900 für den Mann, 900 für die Frau. Eine Folge »7, 7, 14, 10, 11, 11« verrät uns zum Beispiel, dass eine der
beiden Personen während eines Zeitraums von sechs Sekunden zunächst ärgerlich war, sich kurz neutral gefühlt hat, dann in
eine Verteidigungshaltung übergegangen ist und schließlich begonnen hat zu jammern. Zu den Videobildern kommen die Daten der
Elektroden und Sensoren, sodass die Auswerter wissen, wann sich die Pulsfrequenz des Ehemanns erhöht
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