Blink! - die Macht des Moments
Eile mit Weile. Erst denken, dann handeln. Der Schein trügt. Wir glauben, dass wir gut beraten
sind, so viel Information wie möglich zusammenzutragen und so lange wie möglich über eine Entscheidung nachzudenken. Wir vertrauen
nur unseren bewussten Urteilen. Doch es gibt Momente, besonders wenn wir unter Druck stehen, in denen wir ohne Weile eilen
und in denen unsere Spontanurteile und ersten Eindrücke uns sehr viel besser helfen, unsere Umwelt zu verstehen. Deshalb wird
es das erste Anliegen dieses Buches sein, Sie von dieser einfachen Tatsache zu überzeugen: Entscheidungen können sehr schnell
gefällt werden und sind deshalb keinen Deut schlechter als Entscheidungen, die am Ende eines langen Für und Wider stehen.
Es geht mir jedoch nicht allein darum, Ihnen zu zeigen, wie effektiv der erste Blick sein kann. Genauso interessieren mich
die Momente, in denen unser Instinkt sich irrt. Wie konnte es beispielsweise passieren, dass sich das Getty Museum auf den
Kauf des Kouros einließ, wenn doch so offensichtlich etwas nicht mit ihm stimmte? Warum hatten die Experten des Museums während
ihrer vierzehnmonatigen Untersuchung der Plastik nicht dasselbe Gefühl der intuitiven Ablehnung wie die externen Kunsthistoriker?
Diese Frage haben sich natürlich viele gestellt. Die Antwort ist, dass diese Gefühle des Misstrauens aus dem einen oder anderen
Grund unterdrückt wurden. Zum einen schien der wissenschaftliche Nachweis absolut hieb- und stichfest – der Geologe Stanley
Margolis war selbst derart überzeugt von seiner Analyse, dass er seine Methode in einem langen Artikel im
Scientific American
darstellte. Aber der Hauptgrund war vermutlich, dass die Mitarbeiter des Getty Museums einfach
wollten,
dass die Statue echt war. Es handelt sich um ein relatives junges Museum, das sich möglichst schnell eine Sammlung von Weltrang
aufbauen will, und der Kouros schien eine so außergewöhnlich gute Gelegenheit, dass die Begeisterung alles andere überlagerte.
Der Kunsthistoriker George Ortiz erhielt einmal von Ernst |21| Langlotz, einem der weltweit erfahrendsten Experten in antiker Kunst, eine kleine Bronzestatue zum Kauf angeboten. Ortiz sah
sich das Objekt an und zuckte zusammen: Er erkannte es auf den ersten Blick als schlechte Fälschung. Die Widersprüche und
Fehler schienen ihm so offensichtlich, dass sie nur ein Amateur übersehen konnte. Wie konnte es sein, dass ein Mann wie Langlotz,
der vielleicht mehr über antike Kunst wusste als irgendjemand sonst, auf dieses billige Imitat hereingefallen war? Ortiz konnte
es sich nur so erklären, dass Langlotz die Figur in jungen Jahren gekauft hatte, ehe er sein Expertenwissen erworben hatte.
»Ich nehme an, dass Langlotz sich in das Stück verliebt hatte. Wenn man jung ist, verliebt man sich in seinen ersten großen
Kauf, und vielleicht war diese Figur seine erste große Liebe. Trotz seines unglaublichen Wissens war er offenbar nicht in
der Lage, seine erste Einschätzung zu hinterfragen.«
Diese Erklärung ist gar nicht so weit hergeholt. Sie verrät uns etwas Grundlegendes über unsere Denkprozesse. Unser Unbewusstes
ist eine mächtige Instanz – aber es kann sich auch irren. Unser innerer Computer erkennt nicht automatisch die Wahrheit. Er
kann auf dem falschen Fuß erwischt oder abgelenkt werden. Unsere intuitiven Reaktionen stehen oft in Widerspruch zu allen
möglichen anderen Interessen, Wünschen oder Gefühlen. Wann also sollten wir unseren Instinkten vertrauen, und wann sollten
wir uns vor ihnen in Acht nehmen? Die Antwort auf diese Frage ist das zweite große Anliegen von
Blink.
Wenn unsere Spontanentscheidungen in die falsche Richtung gehen, dann tun sie das aus ganz bestimmten und immer wiederkehrenden
Gründen, und diese Gründe können wir erkennen und verstehen. Wir können lernen, wann wir unseren Instinkten vertrauen dürfen,
und wann es nötig ist, auf der Hut zu sein.
Das dritte und wichtigste Anliegen dieses Buches ist es, Sie zu überzeugen, dass Sie Ihre Spontanurteile und ersten Eindrücke
verfeinern und für sich nutzen können. Vielleicht erscheint Ihnen das jetzt als ein Widerspruch. Harrison, Hoving und die
anderen |22| Kunstexperten haben in äußerst komplexer Weise auf den Getty-Kouros reagiert – aber sind ihre Ansichten nicht einfach ungebeten
aus dem Unbewussten heraufgestiegen? Wie sollten wir in der Lage sein, diese mysteriösen Vorgänge in den Griff zu bekommen?
Aber wir
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