Blitz und Vulkan
sprichst dich aus, mein Junge“, sagte Henry liebevoll. „Wir haben es doch immer so gehalten, haben nie einer vor dem anderen etwas verborgen, nicht wahr?“
„Jawohl.“
„Nun also — was bedrückt dich?“
Alec sah den Älteren offen an. „Manchmal denke ich, ich wäre wie ein kleines Kind, dem man sein Spielzeug weggenommen hat“, sagte er ärgerlich. „Ich glaube, ich bin unglücklich, weil ich Vulkan jetzt nicht mehr allein für mich haben kann! Ich ermahne mich dauernd, endlich zur Einsicht zu kommen, daß man einen Champion nicht als Haustier halten kann, denn das ist es, was ich möchte! Ich bin glücklich, daß Vulkan genau das geworden ist, was wir erträumt haben. Ich wußte vom ersten Tag an, daß ich ihn mit anderen würde teilen müssen, wenn er wirklich ein Champion würde. Ich weiß auch, daß sein Training unentwegt fortgeführt werden muß, selbst wenn ich ihn reiten kann. Ich weiß, daß ihn andere reiten müssen, wenn ich verhindert bin. Alles das sagt mir meine Vernunft, alles ist genau so gekommen, wie ich es mir gedacht habe...“ Alecs Blick wanderte von Henry zu Napoleon. Er atmete tief auf und fuhr dann fort: „Trotzdem fällt es mir nun unsagbar schwer..., viel schwerer, als ich es mir jemals vorgestellt habe.“
„Hat es dich denn nicht gefreut, Vulkan in unseren großen klassischen Rennen zum Sieg reiten zu können?“ fragte Henry.
„Nein, nicht einmal das! Ich komme mir vor, als wäre ich für ihn nichts als ein Jockey. Und ich möchte mehr sein. Sehr viel mehr!“ Er wandte sich Henry mit fragenden Augen zu: „Aber es wird jetzt im Sommer wieder anders sein, nicht wahr? Ich werde die ganze Zeit mit ihm Zusammensein und ihn auch selber pflegen. Wir brauchen keinen Pferdewärter. Nur wir beide mit ihm allein..., ganz wie es früher gewesen ist.“
Henry zögerte eine Weile; er betrachtete Alecs bekümmertes Gesicht. „Ich könnte dir zustimmen, Alec“, sagte er endlich, „aber ich tue es nicht.“ Er verstummte vor dem erschrockenen Ausdruck, der in Alecs Augen getreten war. „Du bist offen zu mir gewesen, und ich will es dir gegenüber ebenfalls sein“, fügte er hinzu.
„Worauf willst du hinaus, Henry?“ fragte Alec schnell.
„Auf etwas, was ich mir seit langer Zeit überlegt habe, etwas, was mir aufgegangen ist, nachdem ich dich die letzten sechs Monate beobachtet habe. Ich bitte dich, das, was ich dir sagen werde, in Ruhe zu überdenken und dich zu prüfen, ob ich nicht recht habe mit meiner Vermutung über die wahre Ursache deiner Traurigkeit.“ Alec sah ihn an, ohne ein Wort zu erwidern.
„Du hast gesagt, daß du dir wünschst, es möchte mit Vulkan wieder so sein wie früher“, begann Henry, sorgfältig die Worte wägend. „Ich aber glaube, daß es in Wirklichkeit nicht Vulkan ist, an den du denkst, sondern Blitz!“ Er wartete auf Widerspruch, aber Alec schwieg, und der alte Trainer fuhr fort: „Weder Vulkan noch irgendein anderes Pferd auf der Welt kann dir geben, was du an Blitz gehabt hast, Alec! Das mußt du begreifen, statt dauernd zu grübeln und unbewußt immer auf etwas zu warten, was helfen könnte, alles so zu machen, wie es einst war..., denn das ist vollkommen unmöglich.“ Napoleon zupfte Henry am Jackenärmel, aber dessen Augen ließen nicht von Alec, als er mit noch sanfterer Stimme fortfuhr: „Ich möchte keinesfalls dazu beitragen, daß du noch betrübter wirst, vielmehr möchte ich versuchen, dir klarzumachen, daß ein Verhältnis, wie es zwischen dir und Blitz bestanden hat, etwas ganz Einmaliges ist... Blitz war kein gewöhnliches Pferd, Alec, er war ein Wildhengst und niemals vollständig zahm. Nur aus irgendeinem geheimnisvollen Grund hat er dir zuliebe die Wildheit vergessen und dir sein ganzes Herz geschenkt... Laß uns einen Blick in die Vergangenheit tun“, sprach Henry hastig weiter. „Du warst noch ein Junge und Blitz ein ungezähmter Wildhengst, den nur du allein bändigen konntest. Deine Liebe wurde von einem Tier erwidert, das keinen anderen liebte. Blitz gehörte dir ganz und gar, Alec..., gehörte dir in einem gemeinhin nicht glaubwürdigen Ausmaß. Jeder andere an deiner Stelle würde genau so gefühlt haben wie du. Es machte dich vollkommen glücklich.“
„Und verdarb mich für alles andere. Das willst du doch sagen, nicht wahr, Henry?“ Alecs Lippen verzogen sich zu einem leisen Lächeln. „Selbst für Vulkan!“
„Vielleicht meine ich das“, gab Henry zurück, „es kommt sehr viel darauf an, wie
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