Die Saat der Bestie (German Edition)
Nirgendwo
Als sie den Mann tötet, weiß sie endgültig, dass die Welt sich verändert hat …
Manchmal scheint das Land unendlich zu sein. Am Horizont verschmilzt der Himmel in einer dünnen Linie mit den Schatten von dem, was von der Welt noch übrig geblieben ist, nur selten durchbrochen von den gezackten Kämmen dunkler Berge oder dem feinen Glitzern eines weit entfernten Gewässers. Am Morgen steigt Nebel aus den Senken der Felder und lässt bleiche Gespenster über das Land tanzen, als würde die Welt in ihren letzten Atemzügen liegen. Dann riecht die Luft nach feuchter Erde, die in den Nächten von Regen getränkt wird, und lässt Erinnerungen an die alte Zeit wie glanzlose Träume erscheinen.
In der Nacht allerdings kehrt der Gestank zurück. Der saure Geruch nach Aas, Unrat und verfaulten Gräsern lässt die Luft dick werden, als würde sich etwas Finsteres durch die Dunkelheit bewegen. Regen zwingt die Ausscheidungen der Erde auf den Boden zurück, wo sie sich in ein alles verderbendes, verschlungenes Leichentuch verwandeln und die Welt ersticken.
Für Samantha riecht das Land immer gleich. Es macht keinen Unterschied mehr, ob die Welt am Morgen erwacht oder sich am Abend zum Sterben niederlegt. Sie kann den Tod immer riechen, selbst in den Wirren ihrer Träume.
Wenn sie mit einem Schrei auf den Lippen aus den Abgründen ihrer Alpträume auftaucht, spürt sie kalten Schweiß auf der Stirn und schmeckt Blut auf ihren Lippen, wo sie sich während des Schlafes selbst gebissen hat. Dann liegt für einige widerliche Sekunden der träge Gestank ihrer Träume von aufgedunsenen Körpern und Leichengas in der Nachtluft und sie kann den Geschmack von fauligen Pilzen in ihrem Mund spüren, als würde etwas Totes aus ihrer Kehle nach oben steigen.
Manchmal hat Samantha Angst davor, den Verstand zu verlieren – an anderen Tagen wiederum sehnt sie sich danach. Ihre Welt ist aus den Fugen geraten.
Wie lange sie bereits unterwegs ist, weiß sie nicht mehr. Irgendwann hat sie aufgehört, die Tage zu zählen.
Als der Winter ging und die Nächte ihre beißende Kälte verloren hatten, war sie aufgebrochen.
In dem Haus zu sitzen und zu warten, dass sich alles zum Guten wenden würde, hatte keinen Sinn mehr gemacht. Mike würde nicht zurückkommen, ebenso wenig die anderen, die ihr Leben geprägt hatten. Sie war alleine zurückgeblieben, auch wenn sich jede Faser ihres Verstandes sträubte, dies zu akzeptieren. Die Stille, die sich über die Welt gelegt hatte, folterte sie und drängte sie in die dunkelsten Winkel ihres Hauses zurück. Manchmal schrie sie, bis ihre Sicht von Tränen getrübt war; einfach nur, um ein Geräusch zu hören.
Sie warf Teller gegen die Wände und hämmerte mit den Fäusten gegen Türen und Fenster, bis sie bluteten. Ihr Spiegelbild versuchte, sie zu beruhigen, doch das bleiche, erschöpfte Gesicht, das ihr entgegenstarrte, verwandelte sich schnell in eine hilflose Maske aus Zorn, Furcht und Trauer und begann, sie in seiner Entkräftung erneut anzuschreien.
Alles war besser als dieses erstickende Schweigen. Ihre Schreie hallten durch die Straßen der Stadt und gaukelten ihr vor, dass ihr irgendjemand in irgendeinem Haus antwortete.
Dann wurde es wieder still und Sam rannte in die dunklen Ecken des Hauses zurück, setzte sich gegen die Wand gelehnt auf den Boden, zog die Knie eng an den Körper und umfasste sie mit ihren Armen. So saß sie oft stundenlang in der Dunkelheit, während die Kälte langsam in ihre Glieder kroch und an ihren Knochen zu nagen begann.
In den Nächten träumte sie oft davon, in einem ruhigen See zu ertrinken. Sie stand im Wasser, roch Algen und Seegras und konnte sehen, wie sich die Wellen kräuselten und immer größere Ringe um sie herum bildeten. Ein bleicher Mond, der auf Wolken saß, die so grau wie Asche waren, tauchte das Land in ein bleiches Glühen, bis Sam unter der Wasseroberfläche versank und die Nacht hinter einem verschwommenen Vorhang verschwand. Ihre Haare trieben noch kurze Zeit wie Spinnweben an der Oberfläche, dann wurden auch sie unter Wasser gezogen. Sam konnte das Rauschen des Blutes in ihren Ohren hören und tanzende Bläschen vor ihren Augen aufsteigen sehen. Ihre Glieder wurden schwer und steif vor Kälte. Sie verwandelte sich in etwas, das sie nicht mehr kontrollieren konnte, so lange, bis ein heiserer Schrei sie aus dem Schlaf riss und schwitzend und zitternd in ihrem düsteren Zimmer zurückließ.
Irgendwann, als die Tage wärmer
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