Blood Romance 03 - Bittersuesse Erinnerung
Oder wollte sie tatsächlich nur, dass du ihr zu hörst?«
Sarah schüttelte den Kopf und überlegte angestrengt.
Ich weiß nur noch, dass sie mich aus dem Schlaf gerissen und mir schreckliche Angst gemacht hatte. Ich war wie gelähmt, konnte ihr kaum folgen. Ihre Geschichte war so ... wirr und sie hat ununterbrochen auf mich eingeredet, ohne dass ich sie wirklich verstanden hätte. Es ... es tut mir leid, Dustin, aber ich erinnere mich nur an das, was ich dir schon erzählt habe. Dass sie behauptet hat, nun auf einmal dir zu glauben, dafür aber Jonathan für einen Unsterblichen und für Simons Mörder halt beziehungsweise für Emilias Komplizen. Und sie meinte, er wäre die ganze Zeit eigentlich hinter dir her gewesen. Aber ... ich kann ihr das alles nicht glauben, du etwa? Ich meine, Jonathan ist zwar im Moment auch nicht ganz bei Trost, aber nachdem er uns geraten hat, von hier zu verschwinden ... Wieso sollte er dich mit mir entkommen lassen, wenn er dich eigentlich besiegen wollte? Ich verstehe das alles nicht.«
Sarah sah Dustin abwartend an, aber er erwiderte nichts. Dennoch merkte sie, dass es in ihm arbeitete.
»Wo steckt May jetzt?«, fragte Dustin schließlich nach einer ganzen Weile des Schweigens und Sarah zuckte mit den Schultern.
»Ich weiß es nicht. Jonathan hat sie einfach mit sich gezerrt. Und ehrlich gesagt war ich in diesem Moment froh, dass er sie mir vom Leib geschafft hat. Sie kam mir so ... verrückt vor, als sei sie zu allem fähig. Ich hatte einfach nur Angst vor ihr, vor allem, nachdem ich annehmen musste, dass sie Emilias Komplizin ist.« Sarah runzelte die Stirn und blickte Dustin aus zusammengekniffenen Augen an. »Glaubst du etwa, dass ihre wirre Geschichte stimmt? Oder willst du einfach, dass May die Wahrheit gesagt hat, weil ihr euch einmal nahe wart?«
Dustin antwortete nicht auf Sarahs spitze Frage. »Diese Briefe, von denen du mir erzählt hast ...«, sagte er stattdessen, »du weißt schon, diejenigen, die May in Jonathans Zimmer gefunden hat ...«
Sarah nickte.
»Hast du sie gelesen?«
»Nein, ich konnte nicht«, antwortete Sarah beschämt. »Ich weiß, das klingt seltsam, aber ich war tatsächlich nicht fähig, auf die Schnelle irgendetwas zu entziffern, obwohl May unbedingt wollte, dass ich sie lese. Ich war viel zu durcheinander, zu panisch.«
»Kannst du dich wenigstens an irgendetwas erinnern, was mit den Briefen zu tun hatte? Hat May dir noch irgendwelche Details über den Inhalt verraten? Von wann sie in etwa waren oder in welchem Abstand sie geschrieben wurden und an wen?«
Sarah schüttelte den Kopf. »Doch«, platzte es mit einem Mal aus ihr hervor. »Doch, natürlich, da war noch etwas. Sie meinte, Jonathans Briefe wären an einen gewissen George oder so ähnlich verfasst. Aber Jonathan selbst hätte jedes Mal mit ... warte mal ... Ich glaube Harold oder nein, mit Henry unterzeichnet.«
Sarah sah Dustin erwartungsvoll an und im selben Moment merkte sie, wie ihr Herz, welches nach all der Aufregung eher aufgebracht geschlagen hatte, von einer Sekunde auf die andere schwächer wurde. Sie lehnte sich erschrocken und kraftlos gegen die Wand und presste die Hand gegen ihre Brust. Dustin hingegen war mit vor Schreck geweiteten Augen aufgesprungen. Er schien mit einem Schlag vollkommen aufgewühlt.
»Henry«, flüsterte er immer und immer wieder, als müsste er sich diesen Namen bewusst machen und einprägen. »Henry, Henry. Henry ... Bist du dir sicher, Sarah? Hat May wirklich diesen Namen erwähnt und keinen anderen?«
»Ja, ich bin mir ziemlich sicher, aber … Was ist denn, Dustin, wer ist dieser Henry ?«, fragte Sarah schwach. »Kennst du ihn etwa?«
Dustin nickte langsam und sein Blick schweifte ab. »Ja. ich kenne ihn«, flüsterte er tonlos und Sarah lief es eiskalt den Rücken hinunter.
»Ich fasse es nicht. Ich fasse es einfach nicht, dass ich so blind gewesen bin, die ganze Zeit über ...« Dustin lachte bitter und schüttelte den Kopf. »Dabei war es so offensichtlich ...«
Italien, 1893
Emilia blickte Dustin von ihrem Fenster aus entgegen, als er sich entschlossenen Schrittes dem Gästehaus näherte. In ihren Augen flackerte Unsicherheit. Aber als sie ihm die Tür öffnete und er nur noch einen Meter vor ihr stand und ihr zulächelte, verschwand der bange Ausdruck aus ihrem Gesicht. Emilia schmiegte sich an seine Brust, wie am Abend zuvor. »Ich wusste, dass du dich für mich entscheiden würdest, ich wusste es«, flüsterte sie.
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