Kuess mich toedlich
Prolog
Er umklammerte das Messer mit aller Kraft. Adrenalin jagte durch seine Adern. Er hatte nur noch nicht zugeschlagen, weil sich die taube Leere, auf die er sich bisher immer hatte verlassen können, noch nicht eingestellt hatte.
Sein Opfer zog sich den Kragen über den Kopf und rannte von Hausmauer zu Hausmauer, um sich vor dem Platzregen zu schützen. Die kleine Seitengasse war menschenleer, kaum ausgeleuchtet, wie für einen Jäger wie ihn gemacht.
Er rannte hinterher. Es war stockdunkel und der Schauer erschwerte die Sicht zunehmend. Der Mann im Trenchcoat hatte keine Ahnung, dass er verfolgt wurde. Nur noch wenige Meter trennten den älteren Kerl von seinem Wagen, der an der gegenüberliegenden Straßenseite parkte. Er zitterte merklich vor Nässe und Kälte, bemerkte ihn nicht, schließlich gehörte es auch zu seiner Pflicht als Assassin , nicht gesehen zu werden. Und er hörte ihn auch nicht, obwohl sein Herz so laut schlug, dass es ihm in den Ohren dröhnte. Der Mann im Mantel fühlte sich sicher, doch er war es nicht.
Seine Atemzüge waren bereits gezählt.
Der Jäger in ihm wartete darauf, endlich nichts mehr zu fühlen. Doch es änderte sich nichts. Er fühlte immer noch wie ein richtiger Mensch, war nicht innerlich tot wie ein skrupelloser Killer, der er eigentlich sein sollte. Noch nie war ihm das passiert. Niemals hatte er töten müssen, wenn er ganz bewusst bei sich war. Wenn er fühlte.
Alles in ihm schrie, wollte ihn dazu bringen, wegzulaufen, aber es gab kein Entkommen. Nicht für ihn, den Mörder, und auch nicht für diesen Mann, der keine Ahnung hatte, was um ihn herum geschah. Sein Tod war längst beschlossen worden. Wenn er es nicht tat, käme ein anderer, mit dem Auftrag, sie beide zu töten.
Der Mann rannte nun auf seinen Wagen zu. Ihm blieben nur noch wenige Sekunden, um zu handeln. Doch auch er zitterte. Er hatte noch nie gezittert. Ja, er war ein Mörder, aber er wollte das hier nicht, hatte es nie gewollt. Und doch würde es geschehen. Er hatte keine Wahl. Verweigerung bedeutete Verrat. Verrat bedeutete Tod. Die Worte, die er so oft gehört hatte, dröhnten zusammen mit dem Pochen seines Herzschlags in seinem Schädel. Es war, als würde er sich dabei zusehen, wie er dem Kerl hinterherschlich. Das Regenwasser spritzte dabei um seine Füße, die Sohlen seines festen Schuhwerks erzeugten ein dumpfes Echo auf dem Asphalt, von dem er fürchtete, sein Opfer könnte es hören. Doch das schien nicht der Fall zu sein.
Nun stand er direkt hinter dem Mann im Mantel, noch immer unbemerkt. Er hatte instinktiv aufgehört, zu atmen, damit keine weißen Atemwolken ihn jetzt noch verrieten. Der ältere Kerl befand sich in Griffweite und kramte nach seinem Autoschlüssel. So dicht hinter dem Fremden konnte er sogar dessen starkes Aftershave riechen und die leicht ergrauten Haare in seinem Nacken sehen.
Innerlich war er immer noch nicht erkaltet und abgestumpft, und er verfluchte sich dafür.
Als der Mann den Schlüssel ins Schloss steckte, erstarrte er plötzlich und erblickte neben seinem Schatten im Wagenfenster eine größere Silhouette. Mit einem Schlag wurde er sich der Gefahr bewusst. Vielleicht dachte er jetzt an seine Familie.
Der Zeitpunkt war gekommen. Er packte sein Opfer an der Schulter und drückte ihm die Klinge fest an den Hals.
»Wieso ?« , brachte der Fremde gebrochen hervor.
Er antwortete ihm nicht.
»Wieso ich ?« , wiederholte der Mann panisch.
»Ich weiß es nicht«, keuchte er und zog ihm die Klinge von einem Ohr zum anderen, noch bevor der Ältere eine Chance bekam, sich zu wehren.
Mit einem grauenhaften Gurgeln sackte er zusammen. Seine Augen waren weit aufgerissen, eine stumme Anklage lag darin.
Er stand über ihm, blickte sich kurz um, ob irgendwer ihn beobachtet hatte, doch die verlassene Straße und das schlechte Wetter hatten die Menschen ferngehalten. Nach außen hin teilnahmslos sah er zu, wie der Mann starb.
Das Messer in seiner Hand zitterte stärker und er atmete flach ein und aus, um seine rasenden Gefühle in den Griff zu bekommen. Ihm war, als würde ein weiterer Teil in ihm absterben und sich gegen ihn wenden. Wie jedes Mal, wenn er tötete.
Einen Moment lang betrachtete er das Messer, das zitternd in seiner Hand lag. In stiller Selbstverachtung starrte er auf das viele Blut, das in einem Schwall auf den Wagen gespritzt war, und nun auf den Gehsteig tropfte. Noch nie hatte er sich so müde gefühlt, sich seiner so überdrüssig.
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