Blood Romance 03 - Bittersuesse Erinnerung
der Tod nichts anhaben konnte.
»Und woran glaubst du, Dustin?«
Dustin hatte einen Moment lang überlegt und schließlich voller Überzeugung geantwortet: »Ich glaube auch an dich, Großvater!«
Wenn ich ihm vertraue, kann mir auch nichts passieren, hatte sich Dustin gesagt. Aber nun war genau dieser Mann, an den Dustin so fest geglaubt hatte, nicht mehr vorhanden. Er lag, geschunden und besiegt vom Tod, in einer dunklen Kiste aus Holz, würde bald zu Asche und Staub zerfallen.
Der Tod hatte Dustin nicht nur seinen Großvater genommen, sondern auch seinen Glauben an die Unbesiegbarkeit von Giacomo di Ganzoli zerstört.
Der Tod besaß mehr Macht als der stärkste Mann. Niemand, kein Lebewesen auf Erden, konnte sich ihm widersetzen.
Niedergeschmettert von dieser neuen, bitteren Erkenntnis und innerlich leer schlief Dustin an diesem Abend ein. Doch mitten in der Nacht schreckte er hoch, zitternd und mit angstvoll klopfendem Herzen. Er sah seinen Großvater deutlich vor sich, als wäre er eben aus seiner Gruft auferstanden. Seine Stimme war nicht mehr als ein heiseres, schauerliches Krächzen.
»Du hast nicht fest genug an mich geglaubt, Dustin«, flüsterte der alte Mann. »Nur deshalb musste ich sterben. Du bist schuld an meinem Tod, dein Zweifeln hat mich verraten!« Giacomo di Ganzolis Worte brannten sich unwiderruflich in Dustins Kopf ein.
Selbst zwölf Jahre später verfolgte ihn der vorwurfsvolle Ausdruck in den Augen seines Großvaters noch. Und obwohl Dustin längst wusste, dass sie nur das Hirngespinst eines Siebenjährigen gewesen waren, hatten die Blicke seines Großvaters dunkle Spuren in seiner Seele hinterlassen. Spuren, die sich allen Ablenkungsversuchen zum Trotz nur oberflächlich beseitigen ließen, in denen sich in Wirklichkeit jedoch heimlich, in aller Stille und Langsamkeit, Angst ansammelte. Angst vor dem eigenen Tod.
»May, bitte! Hast du denn alles vergessen? Wir standen uns einmal so nahe, wir haben uns geliebt, haben eine Menge füreinander riskiert... Ich weiß, ich habe Fehler begangen. Ich habe dir unrecht angetan und ich wünschte, ich könnte es ungeschehen machen! Ich schwöre dir, das alles tut mir schrecklich leid. Aber von jetzt an werde ich aus deinem Leben verschwinden und nie wieder auch nur in deine Nähe kommen ...«
»Schweig!«, unterbreche ich ihn. »Du hattest deine Chance, Dustin. Aber du hast dich dafür entschieden, eine blutrünstige Bestie zu werden. Du hast dir Simon als Opfer ausgesucht, um mein frisch gewonnenes Glück zu zerstören. Du konntest es nicht ertragen, dass ich meine wahre Liebe gefunden hatte und wieder Mensch sein durfte. Aber nun bin ich an der Reihe, mich zu rächen. Ich habe lange auf diesen Moment gewartet. Ich will unbarmherzig sein. Ich will dich leiden sehen. Ich will, dass du durch die Hölle gehst!«
»May, bitte ...«
»Nein! Es ist zu spät, es ist zu spät, zu spät, zu spät!«, singe ich und lache. Ich lache und lache! Dieses Bild vor mir ist so wunderbar, so befriedigend, ich will tanzen, vor Freude springen. Gleich wird seine Verwandlung beginnen. Ich setze mich neben sein Gefängnis und blicke zu ihm hinab. Und tatsächlich ... Durch Dustins Körper geht ein Ruck und alle Farbe weicht aus seinem Gesicht. In rasanter Geschwindigkeit verdorrt es und schrumpft zusammen, bis es seine schöne Form, seine ebenmäßigen Züge verloren hat. Ich staune, lächle fasziniert beim Anblick dieses lang ersehnten Grauens. Die letzte Feuchtigkeit rinnt traurig sein Kinn herab, bis sich nur noch rissige Haut und Sehnen um seinen Schädel spannen und seine Augen grau und stumpf in dunklen Höhlen liegen, wie trockene, ausgeglühte Kohlen. Ein letztes schwaches Flehen glimmt darin auf.
»May, bitte ...«
Winselnd streckt er mir seine zitternde, knochige Hand entgegen, seine Stimme ist nur mehr ein heiseres Hauchen. Aber ich trete nur nach ihm, springe auf und lache. Ich lache, lache, lache ...
May fuhr von ihrem Bett hoch. Ihr Nachthemd klebte an ihrem Körper und der Raum kam ihr unerträglich heiß und stickig vor. May riss das Fenster auf und lehnte sich in die frische Dunkelheit hinaus. Mit geschlossenen Augen atmete sie tief ein und aus, bis sich ihr Puls langsam wieder beruhigte. Sie hatte heute Abend nicht einschlafen wollen. Obwohl sie sehr müde gewesen war, hatte sie sich fest vorgenommen, wach zu bleiben. Aber vielleicht war dieser Traum eine letzte hilfreiche Übung gewesen. Eine Vorbereitung auf das, was
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