Blood Romance 04 - Ruf der Ewigkeit
Und warum hast du mich nicht sofort informiert? Stattdessen wartest du hier noch stundenlang untätig! Es gibt schließlich so etwas wie Mobiltelefone. Was ist bloß los mit dir?«
Hässlich sieht sie aus, dachte Jonathan zum wiederholten Male in den letzten Wochen. Emilia war seit ihrem sechzehnten Lebensjahr kein bisschen gealtert. Dennoch hatten Hass und Rachlust über die Jahrzehnte allen Liebreiz aus ihrem Gesicht gefressen und nichts als harte, verbitterte Züge hinterlassen. Selbst das perfekte Make-up konnte sie nicht ganz überdecken. Jonathan schluckte schwer und wieder einmal überkam ihn dieses beklemmende Schuldgefühl, das ihn seit mehr als einem Jahrhundert begleitete. Du brauchst dich gar nicht zu wundern, gab es ihm zu verstehen. Schließlich trägst du Mitverantwortung an dem Schicksal, das Emilia zu dem gemacht hat, was sie heute ist - eine grauenhafte, gefühllose Bestie ...
Jonathans Gewissen hatte recht. Er hatte damals nicht gut genug auf Emilia aufgepasst, war in der entscheidenden Stunde nicht bei ihr gewesen. Er hatte zu lange gezögert, obwohl er die Gefahr bereits Tage zuvor hatte lauern sehen.
Die Erinnerung an das Mädchen, dem er einst nahegestanden hatte, war in Jonathan mittlerweile so verblasst wie ein altes Foto, das ganz nach hinten in eine Schublade gerutscht war und immer mehr in Vergessenheit geriet. Nur ab und zu kam es zufällig wieder zum Vorschein und weckte Gedanken an heile und sorglose Zeiten. Dann spürte er jedes Mal einen sehnsuchtsvollen Stich in seiner Brust.
In der Vergangenheit war viel Schreckliches geschehen, aber das Böse würde noch weiter wachsen. Weil er es nicht geschafft hatte, das Unheil von Emilia fernzuhalten, hatte es sich in ihr festsetzen, keimen und gedeihen können, sodass es mittlerweile kaum mehr zu bändigen schien. Und nun bedrohte es auch eine Person, die es als Allerletzte verdient hatte, ins Unglück gestürzt zu werden. Bei allem, was Jonathan falsch gemacht hatte, war er es wenigstens ihr schuldig, gegen alle Hindernisse anzukämpfen und sie vor Emilias blinder Wut und Rachgier zu beschützen. Selbst, wenn dies einem Verrat an Emilia gleichkam. Selbst, wenn es all das infrage stellte, was bisher sein Lebensinhalt und Sinn seiner Existenz gewesen war.
Sarah war jede Mühe wert. Für sie wollte er seine einstigen Ideale, seine vor Urzeiten geleisteten Versprechen über den Haufen werfen und noch einmal von vorne beginnen. Ganz von vorne ... Sarah durfte nichts geschehen, koste es, was es wolle. Sie war unverschuldet in diese verworrene Geschichte geraten. Ein wenig erinnerte sie Jonathan in ihrer sanften und gleichzeitig unerschrockenen Art sogar an das Mädchen, dem er einst, vor vielen, vielen Jahren sein Herz geschenkt hatte. Und sein Leben ... damals, in England ...
»Und wo steckt sie ?«, zischte Emilia, als hätte sie seine Gedanken gelesen. Obwohl er auf Anhieb wusste, von wem sie sprach, zog er fragend die Augenbrauen hoch. Vielleicht konnte er so etwas Zeit schinden.
»Tu nicht so! Sarah natürlich. Deine süße kleine Sarah, die dich leider, leider verschmäht, weil sie immer noch blind vor Verliebtheit diesem Verräter hinterherrennt.« Emilia lächelte boshaft. »Ist sie etwa bei ihm? Sind sie gemeinsam geflüchtet?«
Jonathan schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Ich habe Sarah schon seit einigen Tagen nicht mehr gesehen. Vielleicht ist sie mit ihrer Mutter unterwegs.« Er legte Emilia eine Hand auf die Schulter. »Ich bin nicht in Sarah verliebt, das bildest du dir nur ein, Emilia. Ja, ich gebe zu, ich habe mich eine Zeit lang zu ihr hingezogen gefühlt, wir haben miteinander geflirtet und uns ein, zwei Mal getroffen, aber das war auch schon alles.« Jonathan wusste, dass das nicht besonders glaubwürdig klang. Emilia kannte ihn länger als jeder andere und sie zu belügen war ebenso überflüssig wie gefährlich. Sie hasste nichts mehr als das Gefühl, dass man sie nicht für voll nahm.
Prompt verdrehte Emilia genervt die Augen. »Du kannst deine albernen Lügengeschichten jemand anderem erzählen«, erwiderte sie gereizt und schüttelte seine Hand ab. »Ich traue dir nicht mehr über den Weg, Henry. Nicht, nachdem du es schon wieder vermasselt hast. Wer weiß, was sich in deinem Hirn abspielt, du warst ja schon immer ziemlich eigenartig.«
Jonathan senkte den Blick.
»Es wird höchste Zeit, dass wir die Spielregeln ändern«, fuhr Emilia fort. »Ich werde mir das Ganze noch einmal durch den Kopf gehen lassen.
Weitere Kostenlose Bücher