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Bloodman

Bloodman

Titel: Bloodman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pobi
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Geschichte, egal, aus welchem Blickwinkel man sie betrachtete.
    Jake spazierte am Strand entlang, während der kühle Sand sich durch seine Zehen drückte wie körniger Tortenguss. Das Gefühl weckte entfernte Erinnerungen. Der Strand hatte sich während des letzten Vierteljahrhunderts verändert. Sehr sogar. Wie die Stadt selbst war auch die Landspitze einmal zwischen zwei ganz unterschiedlichen Spezies aufgeteilt gewesen, den Einheimischen und den Sommergästen. Die kleinen, bescheideneren Häuser gehörten den Ortsansässigen und die größeren, neueren Gebäude den Sommergästen. Luxussanierungen hatten jede verfügbare Immobilie mit gefräßigem Appetit verschlungen, und die Einheimischen waren immer weiter von der Küste abgedrängt worden, bis am Strand nur noch eine gutgepflegte Reihe von Urlaubshäusern ohne jeden Charakter stand und Montauk Gefahr lief, ein weiterer Schandfleck der Reichen zu werden. Entweihtes Land mit manikürten Rasenflächen und Dreifachgaragen, die die Besitzer Autohäuser nannten.
    Zu dem Zeitpunkt, als Jacob Coleridge nach Montauk zog, hatte er sich bereits einen Namen gemacht. Pollock war tot, Warhol schon eine feste Größe, und es klaffte eine riesige Lücke in der Entwicklung der amerikanischen Malerei. Im Unterschied zu Pollocks Farbexzessen und Warhols abgedroschenem Vervielfältigungswahn schuf Jacob Coleridge mit schwungvollem Pinselstrich düstere Visionen, die die Aufmerksamkeit der Kritiker weckten. Bald folgten die Sammler.
    Wie die meisten Künstler hatte Coleridge als Klassizist begonnen und war im Alter von elf Jahren bereits ein vollendeter Zeichner. Er wuchs bald über den Wunsch hinaus, die Leute in seinen Arbeiten einen Sinn erkennen zu lassen. Jedes neue Bild begann er mit einer technisch atemberaubenden Ansicht, die er auf geschickte oder, wie mancher sagen würde, kriminelle Weise mit aufeinanderfolgenden Farbschichten überdeckte, bis nur noch ein kleines Detail der ursprünglichen, fotorealistischen Abbildung übrigblieb. Während der Großteil der amerikanischen Maler erwartete, dass man ihre Arbeiten anbetete, übermalte Jacob Coleridge gerade jene Teile seiner Bilder, von denen er vermutete, dass die Leute sie am liebsten sehen wollten. Die Kritiker schwärmten, er sei der einzige Nicht-Narziss der amerikanischen Szene. Viele Sammler ließen ihre Bilder röntgen, damit sie sehen konnten, was er ihnen vorenthielt. Daher ging Jacob dazu über, mit Bleipigmenten zu arbeiten, die er mit Leinsamenöl verrieb, so dass ein Röntgengerät Probleme mit dem Durchleuchten hatte. Und je häufiger er den Leuten sagte, wohin sie sich seine Bilder stecken konnten, desto mehr zahlten sie für seine Werke.
    Jake bewegte sich an der Wasserlinie entlang und trat gelegentlich achtlos gegen den breiten Streifen aus Seegras und Treibgut, der den Strand säumte, während der Detektiv in ihm nach … ja, wonach Ausschau hielt? Muscheln? Piratenschätzen? Antworten? Ein gefleckter Strandläufer folgte in seinem Kielwasser und pickte die frühmorgendlichen Insekten auf, die Jake aufscheuchte.
    Er war nicht zurückgekommen, um zu arbeiten – sondern weil sein Vater sich selbst in Brand gesteckt und den größten Teil seiner Hände weggebrannt hatte, die jetzt kaum noch mehr waren als verkohlte schwarze Krallen. Kurz gesagt, er war hier, um die Angelegenheiten des alten Mannes zu regeln und ihn irgendwo unterzubringen. Anschließend hatte er sich in den Wagen schwingen, nach New York zurückfahren und nie wiederkommen wollen. Es hatte so einfach geklungen. Leider war der Plan durch Hausers Anruf in der letzten Nacht gründlich in die Binsen gegangen.
    Der Strandläufer sauste von der Seite heran, pickte nach einer Sandkrabbe, die Jake aufgeschreckt hatte, und machte sich mit dem münzgroßen Tier aus dem Staub. Der Vogel ließ die Krabbe in den Sand fallen und hackte mit kontrollierten Schnabelhieben auf sie ein. Ein paar Sekunden lang leistete das Schalentier tapfer Widerstand, aber irgendwann ergab es sich der überlegenen Bewaffnung, und der Vogel zerrte ihm die Eingeweide in einer Eruption aus Farben heraus.
    Das Licht des Leuchtturms schimmerte unheimlich durch den Morgendunst, und Jake konnte zwei Fischerboote erkennen, die um die Landzunge herum nach Norden tuckerten, zur Leeseite von Long Island. Er nahm an, dass alle Boote weit und breit sich

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