Bloodman
armseligen Schmierereien, lehnten an der Wand. Er blieb stehen, nahm eine der Leinwände in die Hand und versuchte sich vorzustellen, was im Hirn seines Vaters vorgegangen war. Waren das nur Fingerübungen? Wie lange malte er diese Dinger schon? Wie lange war er schon krank? Und warum hatte niemand etwas bemerkt?
Jake konnte sich einfach nicht vorstellen, was sich sein Vater dabei gedacht hatte, als er diese leblosen Kleckse von Lichtlosigkeit malte. Jake hatte schon vor Jahren aufgehört, etwas für seinen Vater zu empfinden, aber seinen Intellekt hatte er immer respektiert. Man konnte Jacob Coleridge viel Ãbles nachsagen â genug, um ein ganzes FuÃballstadion zum Ãberlaufen zu bringen â, aber dass er talentlos war, gehörte wirklich nicht dazu. Anders als die ganzen Pfuscher, die dadurch reich wurden, dass sie zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort gewesen waren, damals, als am richtigen Ort zu sein die halbe Miete bedeutete. Sein Vater dagegen, mit seiner angeborenen Brillanz, hatte den Vorgang, Farbe auf die Leinwand zu bringen, zu einer völlig neuartigen Erfahrung gemacht.
Während die ganzen Schmierfinken ihren zunehmenden Erfolg mit einem immer tiefer rutschenden Bleistiftstrich am Türstock der Selbstverarschung markierten, hatte Jacob Coleridge die Art, wie Menschen die Welt sahen, neu erfunden. Wie sie eine Leinwand und pastöse Pigmente betrachteten. Wie sie sich selbst wahrnahmen. Er tauchte tief in die Arterien der Bestie ein, bis er ihr Farbe pumpendes Herz erreichte, und seine Arbeiten waren die originellsten und leidenschaftlichsten, die seit langer Zeit von einem Künstler der Ostküste gekommen waren. Jacob Coleridge hatte nie geschludert, selbst dann nicht, als es modern war.
Also was zum Teufel war mit ihm passiert in den vergangenen â zwei? â fünf? â zehn Jahren?
Jake drehte eines der asymmetrischen Bilder im Uhrzeigersinn, dann in die andere Richtung. Sein Vater hatte nie etwas für moderne Kunst übriggehabt, jedenfalls nicht als Genre. Und er hatte mit Gewissheit nie etwas für den narzisstischen, selbstbezogenen Mist übriggehabt, den sein Sohn gerade in der Hand hielt. Also was war hier geschehen? Jake lehnte das Bild wieder an die Wand und ging weiter über die Galerie.
Sein altes Kinderzimmer und das Büro seiner Mutter waren verschlossen. Das Elternschlafzimmer verfügte über eine Schiebetür, die in die Wand zurückglitt. Sie klaffte etwa zehn Zentimeter weit auf, und Jake legte die Finger um die Kante, um sie ganz aufzuziehen. Sie gab kaum nach, als würde sie in nassem Sand feststecken. Er spähte durch den Spalt und stellte fest, dass die Tür verbarrikadiert war â anders konnte man es nicht beschreiben. Aus seinem beengten Blickwinkel sah er eine Kommode, einen alten, stählernen Architektentisch und einen riesigen, vergoldeten Mohren, die die Türöffnung blockierten. Wie zum Teufel war sein Vater danach noch aus dem Zimmer gekommen? Und was war in seinem Kopf vorgegangen, als er die Möbel aufstapelte?
Durch die schmale Lücke spähend sah Jake überall weitere Teppichmesser, so dass immer eines in Reichweite war. Hier roch es schlimmer als im Krankenhaus, und der dunkle Raum wirkte noch unendlich viel trister, wenn das überhaupt möglich war. Er würde die Tür morgen öffnen â oder übermorgen â, es war nicht wirklich wichtig.
Nach seinem Rundgang durch das Obergeschoss ging Jake ans Meer hinunter. Er war barfuÃ, und seine tätowierten Arme hatten fast dasselbe ausgewaschene Blau wie sein FBI -T-Shirt mit den abblätternden gelben Buchstaben. Er hielt immer noch den leeren Pappbecher in der Hand; er schaffte es nie, Müll zu hinterlassen oder irgendetwas anderes von sich selbst. In seinem Job hatte er zu oft erlebt, wie das Leute in Schwierigkeiten brachte. Kay behauptete stets, dass ein Ort nach Jakes Weggang immer so aussah, als wäre er nie da gewesen. Er betrachtete das als eine Art Berufsrisiko.
Der Sand fühlte sich im Gegensatz zur Wärme des Winds ausgesprochen kalt an, aber Jake merkte es kaum. Sein geistiges Auge glitt zwischen dem dreidimensionalen Modell des Schlafzimmers der Farmers und dem Unfall seines Vaters hin und her. Es konnte kein Zufall sein, dass er hierher zurückgekommen war, um sich um seinen Vater zu kümmern, und dann letzte Nacht in diesem Todeshaus am Highway landete. Es war eine üble
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